Mit Oren Ambarchi, Kassel Jaeger und James Rushford haben sich auf „Pale Calling“ drei experimentelle Strategen aus verschiedenmusikalischen Metiers zusammengefunden.
James Rushford und Oren Ambarchi kommen beide aus Australien. Ambarchi ist seineszeichens vor allem für seine Stücke mit Gitarren und Ringmodulatoren, neuerdings auch für krautig-groovendes Treiben bekannt. Kassel Jaeger ist ein Be- und Umarbeiter in Sachen Field Recordings und Musique Concrète und James Rushford kommt wiederum aus einer kompositorischen, kammermusikalischen Ecke, die am ehesten noch mit notierter Musik zu tun hat. Auf „Pale Calling“ nun collagieren sich diese stilistischen Kernkompetenzen zu einem großen, glucksenden Ganzen. Im von Kassel Jaeger geleiteten GRM in Paris pinselten sie an einem großen, gedachten Klangmalertisch eine erfrischende Stilmelange aus dem jeweils Besten der drei Soundtöpfe zusammen.
Fetzen aus dem Unterbewussten
„Pale“ beginnt mit einem beharrlichen, gedämpft vor sich schmatzenden Glucksen, das wie dem Schlag eines in einer Plastiktüte verstauten Herzens zu entstammen scheint.
Dieses Glucksen dominiert eine ganze kleine Weile über einer mattiert im Hintergrund eiernden Orgelmelodie. Jene Klangfolge entstammt – der Trackname „Pale“ deutet es an – „A Whiter Shade Of Pale“ von Procol Harum, das sich wiederum bei Johann Sebastian Bach bediente. Streng verschachtelte Kontexte mal wieder.
Sonisch murmelnder Stream-of-Consciousness
Zwischen diesem Glucksen und der sonnenstichigen Orgel hängen wortferne Stimmenfetzen, wie wirre Blitze in einem ungeordneten, vorsprachlichen Zustand zwischen Geist und Empfindung. Ab und an fällt eine Synthesizer-Tonfolge in diesen köchelnden, klaustrophobisch traumartigen Grundpuls – wie eine wirre Idee, eine tonale Notiz, wie das Signal einer eingehenden Kurznachricht aus einer tief verbuddelten Ebene im Unterbewussten.
Genau dort, im Unterbewussten und Unterbestimmten bleibt das Stück. Es plätschert verworren in seiner eigenen Rammdösigkeit. All das erinnert in seiner verwirrend kuschligen, als Unwirklichkeit verkleidete, wattige Behaglichkeit an Arbeiten von Robert Ashley, in denen Wortbruchstückpoesie und repetetive Synthesizer zu einem sonisch murmelnden Stream-of-Consciousness verschmelzen.
„Pale“ ist wie ein dotterndes Puckern unter der Kruste eines Cremé Brullee. Wie ein sonderbarer, ungeborener, müder Vogel, der noch zu lustlos ist, sich durch die Schale seines Eis zu picken, lieber das gleißende Licht der Draußenwelt erstmal durch die Dämpfung seines gekalkten kokons beschaut.
Luzide wankelndes Lullaby
„Calling“ wird hingegen schon etwas konkreter und bietet klanglich vordergründigere, sprichwörtlich oberflächlichere , also an der Oberfläche der hörbaren Welt präsentere Anhaltspunkte und lugt auf eine erquickende Art über den experimentalmusikalischen Tellerrand der introspektiven Strenge auch mal in heitere Verwirbelungen von Kitsch hinein.
„Calling“ ist wie ein wiegenliedgewordener Soundtrack eines Westernfilms, ein luzide wankelndes Lullaby. Das plätschernde Sonnenuntergangsgeschaukel schunkelt in einer warmen Synthesizergrundierungen und loungy Klaviersprengseln vor sich hin und eiert sich gelegentlich hoch, zu höchst kitschverdächtigen und deshalb das Stück mit einer heiteren Sonnigkeit ausstafierenden Mundharmonikaeinsätzen. Unvermittelt und in tonaler Sattheit setzt sich gelegentlich ein freundlicher Akkord in dieses traumwandlerische Tröpfeln, wie eine kurze Wachphase, wie ein Fetzen Licht, der in dieses beschwingte, benommene Torkeln bricht.
Dann verebben diese musikalischen Spitzen wieder in Field Recordings von Seeroben-Rudeln, Flamingo-Scharen oder anderen wirren Fundstücken natur-sinphonischer Sounds oder was man dafür hält. Die vorsprachlichen Sprachfetzen aus dem ersten Stück finden hier ihren Widerhall in ganz und gar animalischen Rufen und Lauten.
Hau ins David-Lynchartige
Aus alldem entsteht der Eindruck einer in sich selbst verschwimmenden Zwischenwelt, etwas Ambivalentem, dessen Cheesyness immer auch einen Fuß im Morbiden und damit auch einen Hau ins David-Lynchartige hat.
So verwundert es auch nicht, dass das surreal verschleppte, eigentlich fluffige, aber wie an Gummiseilen dahintapernde Jazz-Drum-Pattern, das sich durch „Calling“ zieht, über die 20 Minuten des Stücks eine gelassene Behäbigkeit entwickelt, die ebenso an ein aus Versehen übermütig gewordenes Stück von Bohren und der Club of Gore, als auch an ein von allem unheilvollen Dräuen und dem Flackern des Zwielichts entschlacktes Werk von Angelo Badalamenti denken lässt. Kurz gesagt: Bubblegum-Doom-Jazz mit Elementen aus Musique Concrète und experimenteller Improvisation. Noch kürzer: ein Riesenspaß!
Badalamenti ohne Zwielicht
Wie das in diesem Genre immer so ist, verschwinden die Machenden und Musizierenden hier hinter dem Werk. Eine genaue Zuordnung, wer Quell welcher Klänge ist, ist kaum vornehmbar. Die Drums könnten von Ambarchi sein, die instrumentalen Teile vom kompositorisch nicht unbeleckten Rushford und die Field Recordings ordnet man am ehesten Kassel Jaeger zu, die er in seinen Solo-Arbeiten so stilbildend verwebt. Jüngst tat er dies auch mit Jim O’Rourke.
In seinem entschleunigt-spinnerten Scharwonkeln wohnt diesen beiden Stücken ein schrullig-cinematoskopischer, ja geradezu komischer Charakter inne. Sonisch überaus effektvoll in Szene gesetzt bauen diese insgesamt 40 Minuten eine, wie in Knete gegossene, für einige Stunden in die glühende Mittagssonne gestellte und dann – nochmal ganz neu – von Jeff Koons als riesenballonhaft, hochglänzend hin hingegossene Skulptur ins Ohr. Diese Musik ist wie ein Bett aus flauschumflorten Kakteenbäumen. Artwork kommt von Stephen O’Malley.
// Martin Hiller
Release: Oren Ambarchi, Kassel Jaeger, James Rushford – Pale Calling
Label: Black Truffle Recordings
Photos:
Header-Collage: Didier Allard (Francois Bonnet alias Kassel Jaeger), unbekannt (James Rushford), Bradley Buehring (Oren Ambarchi at Issue Project Room, NY, 2013)