Rafael Horzon hat es nicht leicht: Rafael Horzon will ein Unternehmer sein, wird aber immer als Künstler gesehen. Er darf nicht einfach nur ein Unternehmer sein. Alle seine Unternehmen, Projekte und Geschäfte werden einzeln als Aktionen und Konzepte eines künstlerischen Systems gelesen. In der Summe sagt man ihm dann gleich noch das Münchhausenhaftige nach. Der arme Kerl muss sich also ständig vor aller Welt rechtfertigen, über das was er so macht und was er also Unternehmen nennt.

Rafael Horzon hat es nicht leicht: Rafael Horzon will ein Unternehmer sein, wird aber immer als Künstler gesehen. Er darf nicht einfach nur ein Unternehmer sein. Alle seine Unternehmen, Projekte und Geschäfte werden einzeln als Aktionen und Konzepte eines künstlerischen Systems gelesen. In der Summe sagt man ihm dann gleich noch das Münchhausenhaftige nach. Der arme Kerl muss sich also ständig vor aller Welt rechtfertigen, über das was er so macht und was er also Unternehmen nennt.

Oder ist es ganz anders rum: will sich diese alle Welt mit diesen „Sie Künschtler, Sie!“-Zuschreibungen rechtfertigen, weil sie sich von Horzons schrill scheinendem Unternehmenspotpourri in ihrem zynischen wettbewerbs- und sichtbarkeitsorientierten Herumgerummel zwischen Marktwertanalyse und Marketingstrategien ertappt fühlt? Ist Horzon also der interventionistische Aktionskünstler, der alle nasweist, lackmeiert und ins Bockshorn jagt? Ist Horzon also eine Art Verdichter des geschäftsweltlichen, ach was, gesamtgesellschaftlichen Irrsinns; ein Überspitzer?

Rafael Horzon: Möbelmogul und FAXen-Macher

 

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Rafel Horzon hat unter dem Deckmantel seines Imperiums modocom viele Unternehmen ins Leben gehievt. Er hat Geschäfte und Firmen für Edelstahlspülen, Steckmöbel und Fassadenverschönerung entworfen und realisiert – vom Logo bis zum Laden. Sogar eine ganze Bildungseinrichtung, die Wissenschaftsakademie Berlin, hat er gegründet. Manches floppte, anderes glückte. Aber alles ist echt. Am beständigsten laufen seit bald zwei Jahrzehnten seine Regalmöbel. In seinem Buch „Das weisse Buch“ hat Rafael Horzon seine Erfolgsgeschichte beim Suhrkamp Verlag veröffentlicht.

Rafael Horzon, der Mann dessen wacher Blick wie einer Figur aus einem Clever & Smart-Comic entsprungen scheint, posiert vor seinen Regalen, Lüftungssystemen und Fassadenverschönerungselementen, wie es eben ein Unternehmer macht: voll Stolz, Schaffenslust und jener bizarren Überdrehtheit, die ums Eck alle seine Sachen dann immer doch, wenn nicht ins Karikaturenhafte, so doch in eine Schiene der Kunstsinnigkeit rückt.

Gut, dass es an der Universität Greifswald jetzt endlich auch eine Poetik-Vorlesung gibt. Im Rahmen ihrer ersten Ausgabe reist Herr Horzon mit seinem Buch und seinem cleveren und smarten Blick extra aus Berlin an und bekommt satte 90 Minuten Zeit, den Studierenden mal Rede und vielleicht sogar ein bisschen Antwort zu stehen.

Unternehmer als Feinde – Erfolgsverweigerung als Protest

Eine gute Gelegenheit, nach all den Jahren mal wieder im Hörsaal vorbeizuschauen. Ich war jahrelang nicht mehr hier. Als ich mich da so die Stufen zu einem hoffentlich eher weit abgelegenen Platz oben in der Ecke hochkämpfe, wird mir gewahr, wieso mir das früher auch immer nicht so die liebste Beschäftigung war: leichte Anflüge von Menschenangst überschauern meinen von der Winterluft eben noch gut frostgesteiften Rücken. Aber ich bin stark und halte das aus. Als Unternehmer muss man das bestimmt ja auch sein. Ich will mich üben. Ich will mich hier, inklusive all der Stolperfallen meines schlichten, gutgläubigen Gemüts, schreibend dem System Horzon annähern.

Unternehmertypen sind für sich so durchs Leben wurschtelnde Hansguckindielufts wie mich erstmal der Feind. Da heute aber alle, besonders die Millenials und digital natives, also die ganzen jungen bis dauerjungen Leute die aus irgendwelchen Gründen nicht mehr der sogenannten Generation X angehören – ob Influencer, Youtuber, Wohnzimmereinrichtungsherzeiger, Accessoire-Anfertiger, DJs und Producer – irgendwie Macher sein wollen, weil also alle eher so checkermäßig heute unterwegs sind, im Internet mal alles auschecken und andere Leute, unter Emoticondauerfeuer, darum bitten ihren neuen Track, ihren neuen Blogpost, ihr neues Tutorial oder ihre neue Kampagne zu checken, erregt dieses Muster von Machertypen (heutzutage verkleidet in so ein gockeliges Post-DIY-Kostüm) anscheinend bei kaum jemandem mehr Potential für Ärger.

Im Gegenteil: machermäßig unterwegs sein ist gar nicht mehr das Beschreiten des Pfads der Feinde. Einen ausgeprägten Geschäftssinn zu haben und ein vitaler Prahlhans zu sein, macht einen heute nicht mehr automatisch zu einem blasierten Lackaffen, sondern zu einem modernen Individualisten. Komische Welt. Das beisst sich alles erstmal mit dem Edel-Slackertum, für das wir, nicht unbedingt antriebslosen, aber doch eher selektiv und wenn, dann tendentiell manisch strebsamen Leute aus dem kreativen Prekariat hier immer noch die Fahnen gegen den Wind halten. Für uns ist Understatement, Schüchternheit und bis zur Tatenlosigkeit gelebte Verzweiflung ein zentrales Merkmal für Seriösität, Stil und Glaubwürdigkeit.

Kurzum: ich sitze also etwas mürrisch hier im Hörsaal, zwischen munter in ihren Handys rumwischenden Studierenden. Jeder Like und jedes Retweet kann ja heute einen Geschäftswert haben – ob du nun easy living als Influencer oder andere Irrsinnigkeiten und Lebensgefühligkeiten im Internet vertickst. Mir selbst geht nachher noch, mitten in der Horzon-Vorlesung, beim Versuch mein Smartphone lautlos zu stellen, der Musikplayer darin los.

Ich gebe zu: mein Feindbild des Unternehmer-Stereotypen ist etwas ungerecht und altklug und streut eigentlich in alles hinein, wo sich vermarktet oder bemerkbar gemacht wird (was meine Social-Media-Aktivitäten ziemlich bizarr zuweilen macht). Aber das ist schließlich die Natur von Feindbildern. Der mürrisch schimpfende Mensch, der nicht nichtstuende, aber von den anderen Tagwerktuern als Nichtstuer titulierte Geistesmensch geht im Wohlfühlfeed der filterblasierten, unternehmungslustigen und dabei ganz und gar lustfeindlichen Unternehmungslustigen als algorithmisch nicht verwertbarer Systemfehler einfach unter. Phlegma und Apathie sind die Strategie des Anti-Machers. Hat schon Thomas Bernhard vielleicht mal gesagt, früher. Oder war ich das gerade? Ich muss aufpassen, ich bin hier unter Leuten.

Apathie als Strategie gegen den Algorithmus

Rafael Horzon, dieser Mann, der von meinem Hörsaalklappstuhl hier oben ausschaut wie eine Mischung aus Milan Peschel und einem Brandenburger Brathähnchenstandbetreiber, stolpert sich derweil in seinen Poetik-Vortrag hinein und beamert, als Reinbringer in das Grundthema von Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit, erstmal alte E-Mails an die Wand. Herr Horzon macht hier, während er da so durch Mailwechsel mit den Organisatoren dieser Vorlesung streift, schonmal eines klar; wie er es auch in seinem Buch „Das Weisse Buch“ klar halten möchte: es ist alles echt, es kann alles nachgelesen und nachgeschaut werden. Seine Unternehmungen sind alle bezeugt. Seine Regale gibt es wirklich. Auch seine Wissenschaftsakademie gab es wirklich; die vielen Hin- und Rück-Faxe mit den Berliner Universitäten, mit denen er zu fusionieren versuchte, belegen das. Über all das schreibt Rafel Horzon, angeregt und angestiftet von Christian Kracht, in seinem Buch.

In den 90er Jahren gründete Rafael Horzon in Berlin die Galerie berlintokyo und stellte dort „japanische Kunst“ aus, die er in Asia-Shops in Düsseldorf zusammenkaufte. Bald darauf gründete er die Wissenschaftsakademie Berlin, in der Christian Kracht erst Student, kurz darauf auch Dozent war (Horzon optimierte die Prozesse an seiner Akademie zu Gunsten einer generellen Verkürzung der Studienzeit etwas). Weitaus erfolgreicher profilierte Horzon sich dann mit seinen Regalen als Möbel-Mogul, unter dessen Fittiche Christian Kracht, damals längst schon faserlandesweit bekannter Pop-Literat, dann Praktikant war.

Arty Edginess oder abgekarterter Unternehmergeist?

Als Direktor seiner Wissenschaftsakademie belatscherte Rafael Horzon die Berliner Universitäten mit Faxen, in denen er sie zu einer Fusion mit seiner Institution zu überreden versuchte. Die Pressemitteilung über diese bevorstehenden, quasi ja fast schon abgemachten Zusammenführungen schicke er bald schonmal raus. Als Antworten erhielt er mürrische Faxe, die angenervt anmerkten, dass man seinen Ausführungen nicht ganz folgen könne und er mit diesen Faxen aufhören solle. Man forderte ihn auf, Pressemeldungen über etwaige Fusionsierungspläne gefälligst nicht an die Medien herauszugeben oder, falls schon geschehen, schleunigst zurückzunehmen. Rauchende Rüben in den Pressestellen der Universäten und wahrscheinlich ein, mit diebischer Freude um sein Faxgerät herumtänzelnder Horzon im Hause Horzon.

Ist es also sprichwörtlich genau das, was das System Horzon ausmacht: Faxen und Faxe machend – die Welt mit irren Finten und hanebüchenen Projektierungen vollfaxend?

 

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Soweit so klar. Kollege Unternehmer-Horzon dreht als Business-Typ immer also ordentlich an den Mühlen von arty Edginess. Aber findet hier alles auf der Ulk-Ebene statt? Investiert hier einer horrende Summen in den Aufbau eines in sich stimmigen, miteinander verschachtelten Systems zwischen Kunst und Geschäftskalkül – zusammengekittet durch eine gute Portion Knallchargenhaftigkeit? Dabei alles stets als Business behauptend und nur durch quirlige Erklärungsversuche wie diesen hier als Kunst gerahmt? Ist Horzon als Klischee eines Unternehmers ein „lebendes Kunstwerk“? Eine Inszenierung des Machertypen zum Zwecke der Zurschaustellung der doppelmoralinen wettbewerbs- und profitgesteuerten Gesellschaft? So ein kommunikations- und gesellschaftskritisches Spiel mit den systemischen Gegebenheiten; eine Brechung, Beugung und Biegung dessen, was die moderne, von mir aus auch digitale oder nach-digitale Welt heute eben so gebiert und generiert – an Nachfragen und Nischen, an Märkten und Marketingkonzepten? Rafael Horzon saß jedenfalls auch schonmal auf einem Panel bei de re:publica. Da sitzen doch immer so aufgeräumte Diskurs-Typen, early adopter und zeitgenössische Kritiker technischer Tendenzen, jedenfalls jene, denen nicht – wie mir: true tolpatsch – irgendeine App aus Versehen in der Vorlesung am Handy losbimmelt.

Fast wirkt es, als entwürfe Horzon seine ganzen Unternehmen nur, um den ganzen damit Verknüpften Festakten und Eröffnungs-Galen einen Grund zu geben. Da laufen dann nämlich – von Carsten Jost bis Jeans Team – immer die tollen Bands und DJs, die man noch von früher her kennt, auf. Herkömmliche Unternehmer haben, was kulturelle Belange betrifft, bekanntermaßen ja keinerlei Geschmack, drehen nur bei der sonntäglichen Rasur mal „Sledgehammer“ von Peter Gabriel laut auf und delegieren sonst alles Schöngeistige an externe Ressourcen wie Event-Agenturen und andere Esel. Man könnte also Horzons Unternehmen wie das „Fachgeschäft für Apfelkuchenhandel“ und seine Firma „System Lüftung“, ein „mittelständisches Unternehmen im Bereich der Lüftungs- und Klimatechnik“ (mit dem pointierten Motto: „System Lüftung – Wir lüften mit System“) als pop- und hochkulturnahe Pop-Up-Stores und One-Off-Aktionen lesen.

Mir selbst als erwähnten, prekär durch diese wirre und geschäftstüchtige Welt rumhumpelnden Nobel-Nichtstuer wäre es jedenfalls ziemlich wichtig, wenn das System Horzon hier am Ende eine Art irre Überzeichnung des Phänomens „Unternehmer“ sein könnte. Dass er hier mal ordentlich einen losmacht gegen den allgegenwärtigen Gründergeistscheiss, der meine Social-Media-Feeds bis hin zu meinem Freundeskreis mit Auswüchsen unangemessener Übermotiviertheit flutet.

Unternehmer: Bananenweizen trinkende Lackschuh-Larrys

Zugegeben, bei mir wurde der Groll gegen Geschäftsmänner, Profitkalkül und Gewinnermentalität biographisch schon sehr früh angelegt. Mein Herz schlägt spätestens seit dem Sportunterricht immer schon für jene, die es nicht leicht hatten; die sprichwörtlich als letzte auf der Bank saßen; jene, die zu schüchtern waren, ihre schönen Ideen laut vorzutragen. In erster Linie schlug mein ebenso einfühlsames, wie auch egozentrisches Outsider-Herz – viele Jahre von mir unbemerkt – also auch für mich. Das ist kein Widerspruch, eher eine art emotionaler Stunt.

Machertypen und Unternehmer waren mir immer schon ein Grusel. Sie sind ja schon – das beweist eigentlich alles – in Zeichentrickfilmen immer die fiesen, profitorientierten und deshalb voll herzlosen Onkel. Unternehmer waren in meinen Kinderaugen immer schon Leute, die auf eine groteske Art, wie die sirrende Aura einer fieberhaften Krankheit, Erfolg ausstrahlen und – schlimmer noch – ungefragt auf Gartenfesten davon erzählen.

Ein weiteres eindeutiges Indiz gegen sie: Unternehmer möchte man nicht küssen. Sie haben, vom vielen Stress, vom hastigen Essen und die durch Lüftungsschächte geharkte Luft in den Tagungsräumen eine ungesund übersäuerte Mundflora. Unternehmer sind Laberbacken, Werbewichser, Lackschuh-Larrys. Unternehmer sind nach Körperpuder duftende Puffgänger mit strengen Zeitplänen. Unternehmer sind knallharte Kalkulatoren und haben Putzhilfen in ihren Stadtwohnungen, die sie nur selten und dann zum Zwecke des Fremdgehens bewohnen. Unternehmer fliegen Linie mit Flugzeugen, wie ich mit der S-Bahn fahre. Unternehmer haben Bluetoothheadsets und Morgenmäntel aus Seide; denken sie wären Dirigenten in ihrer nach Zahlen und Notierungen streng strukturierten Geschäftswelt-Zeremonie, sind aber doch nur fies im Gestrüpp herumkeschernde Vogelfänger in der Schmieroper, die sich ihr Leben nennt. Unternehmer sind Prozessoptimierer und Tischreservierer. Unternehmer tragen beim Geschäftsessen Umschlagmanschetten mit Perlmuttknöpfen und im Urlaub ordinäre, lachsrote kurze Hosen, aus denen ihre vom Clubsport gestählten Stachelbeerbeine wie Machtinstrumente der Geh-Gewalt herauslugen. Unternehmer sind Leute, mit Premiere-Decoder und einem Autogramm von Harald Schmidt im Wandboard.

Typus Unternehmer: Gordon Gekko oder geldgieriger Gimpel?

Unternehmer sind Leute, die sich für Dandys halten, aber eigentlich nur ein Mü zuviel darauf einbilden, dass sie es aus ihrem inneren Dorf herausgeschafft zu haben glauben – blind und eitel vor Besessenheit, die Zügel ihres piefigen Lebens in der Hand zu halten, ja ihr eigenes, privates Leben geradezu umtransformiert haben, um es ganz und gar in die Dienste ihrer Unternehmungen zu stellen. Unternehmer latschen in beuligen Anzügen durch Messehallen, schütteln Hände wie Milchflaschen und trinken nach dem Clubsport ein großes Bananenweizen.

Unternehmer nehmen sich nur im ICE-Bordrestaurant eine Auszeit und essen dort eine dampfende Bockwurst. Nur der kleine Senffleck auf der Ärmelmanschette ist Zeuge. Unternehmer denken – wenn sie sich, nach einem harten Tag im Büro, den Mantelkragen gegen den kalten Gewerbegebietswind hochschlagen – sie seien smart, gewieft und auf eine echsenhafte Art erfolgssexy wie Gordon Gekko, sind aber doch nur geldgierige Gimpel in ihrem drögen Leasing-Leben. Unternehmer arbeiten ihre täglichen Termin behende und routiniert ab, während so Hallodris wie ich sich durch jeden Tag zwar durchaus engagiert aber eben doch auch stolpernd durchkämpfen, wie durch einen Wald aus wirren Pflichten und Verrichtungen.

Unternehmer sind die Peitschenschwinger auf der Kutsche des Kapitalismus. Undsoweiterundsofort. Ich bin da wie gesagt vielleicht etwas ungerecht und barsch im Urteil. Insgesamt aber gilt: Unternehmer sind erstmal mit Vorsicht, Abstand und lieber nur im Fernsehen, in den gerade so blühenden Reality-Formaten zu genießen, in denen Jungunternehmer um Investitionen in ihre Gadgets, Food-Goodies und App-gesteurten Lebenshilfen buhlen. Unternehmer sind – egal ob Börsenguru oder Ebay-Shop-Betreiber im home office – Leute, die ihr Leben auf eine groteske Art, wie einen gut umwickelten Tennisschläger, fest im Griff haben. Unternehmer sind die sprichwörtlichen Ellenbogenmenschen, um die man lieber einen ellenlangen Bogen macht.

Wo Unternehmer im Sinne eines Geschäftsabschlusses gerne klare Kante machen, schätze ich subtile und humorvolle Arten der Unterwanderung von Erwartungen und Üblichkeiten. Mein persönlicher Humor basiert auf nicht gemachten und nur um hundert Ecken, aus der Ferne, dreimal umgewälzt, nur noch aufscheinenden Resten von Pointen. Gleichzeitig bzw. genau deswegen bin ich aber auch gutgläubig wie ein dumpfer Hund. Ich bin, was diesen ganzen Unternehmerklimmbimm von Rafael Horzon betrifft, also einerseits höchst erheitert von dem filouhaften Wahnsinn, der sich durch das System Horzon zieht, kaufe ihm sein überall derart manifest formuliertes Pochen auf Unternehmersein, aber auch mit staunendem Nicken ab.

 

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Puh, harte Nummer. Ist Rafael Horzon jetzt also nur genau so einer, so ein Unternehmer, wie er immer behauptet? Oder dekonstruiert Horzon mit seinem Tun genau diese Stereotypen? Ist er also voll der krasse Aufdecker-Onkel, der uns den Spiegel vors Gesicht hält; mal allen zeigt, wo der Nagel hängt; die ganze zynische Business-Welt mal aus dem Mark heraus so bisschen aufriffelt und umkrempelt? Geil, ja, Rafael, tu das! Mal ordentlich den Gewinnertypen den Wind aus der Fahrt nehmen – ich bin dabei. Den ganzen Markt- und Machermenschen mal ordentlich an den Karren husten – ich mach‘ mit! Ich steh Schmiere! Go for it, Rafael!

Achneedochnnicht. Hoppla. Die Antwort ist so einfach wieder doch nicht.

Klar, das Feindbild Unternehmertypen hat sich über die Jahre, schon seit Bill Gates und Steve Jobs (Unternehmer sind fortan auch Nerds in Strickpullovern) aufgeweicht. Um ihrer Unternehmerwelt auch mal eine lockere Note zu geben, führten die Businessheinis den casual friday ein. Da wird sich – komplett als Happening durchnormiert und damit total unlocker und bigott natürlich – zum Wochenende hin auch mal erlaubt, gegen das Protokoll zu kleiden. Da schuppert der Kragen des geblümten Freitagshemds auch mal ungebügelt am Bartschatten. Hier darf der Hahn im Büro-Stall auch mal sein buntes Gefieder zeigen. Meine Güte, ist das alles traurig, mir wird ganz schwindelig.

Ja sogar manche meiner Freunde sind Unternehmer, haben irgendwelche Internetbusinesses am Laufen, hocken den ganzen Tag vor internetfähigen Endgeräten und checken Conversion Rates, Absprungraten und versuchen dafür zu sorgen, dass ihre Unternehmenswebseiten gut bei Google gefunden werden. Aus diesen abstrakten Tätigkeiten generieren sie am Ende sogar Geld. Ich krieg‘ hier gleich ’nen Drehwurm.

 

 

Rafael Horzon im Hörsaal, Institut für Deutsche Philologie, Greifswald
Rafael Horzon im Hörsaal, Institut für Deutsche Philologie, Greifswald

Sei’s drum. Ich bin ja hier, in der ersten Poetik-Vorlesung der Universität Greifswald, um im Referat von Rafael Horzon irgendwelche stichhaltigen Beweise dafür zu finden, dass all dieses Unternehmertum im System Horzon nur eine kunstsinnige Verquirlung des erfolgsorientierten Zeitgeistes ist.

Es ist keine Business-Comedy und es sind keine Karikaturen, Verhohnepiepelungen oder Verkackeierungen (ich gluckse beim Schreiben wirr in meinen Notizblock). Es ist dann aber auch wieder zu real, um nur kunstsinniges Konzeptgeschwurbel zu sein. Die Bezüge und Referenzen sind jedenfalls nicht versteckt, es ist hier nichts kaschiert, es ist alles ganz direkt und will sich doch nicht vollumfänglich greifen lassen. Sein Buch „Das Weisse Buch“ referiert im Titel und in der Farblosigkeit auf ein Album einer ehemaligen Musikgruppe aus Liverpool. Das Logo seiner Firma „klik & Stek“ (deren Möbeln eine Studie der Wissenschaftsakadmie Berlin [sic!] intelligenzfördernde Eigenschaften attestiert) klaut sich einen typographischen Aha-Moment bei einem Süßwarenprodukt. Und die Webseite seiner Partnertrennungsagentur Separitas kann sich gleich zwischen drei Slogans nicht entscheiden und schmückt sich der Einfachheit halber gleich mit allen drei, teils von anderen Unternehmen zusammengeklauten und durch krumme Eindeutschung gerade so an der Abmahnung vorbeischrammenden Claims: „wir machen den Weg frei“, „wir geben ihrer Zukunft eine Zukunft“ und „angetrieben durch gefuehl“. Hier liegt der Hase bei Horzon also immer auch mit der Kreidepfote im gepfefferten Quatsch mit Soße, gut abgebunden durch pop- und hochkulturelles Knoff-Hoff.

Ist es also – schaut man sich die, wie schrille Reklame wirr zusammengeclusterte Aufreihung der anderthalb Dutzend Unternehmens-Logos auf seiner Webseite an –, ist es also so, dass Rafael Horzon als Unternehmer den ganzen kranken geschäftsorientierten Käse der modernen Welt, Marketinggeschwafel und Werbephrasen bis zur Bedeutungslosigkeit durchdekliniert? Dem Kapitalismus die Fratze vom Gesicht reißt und seinen vermeintlichen Fun-Firmen aufstülpt? Sind seine Möbel-, Dekoelemente- und Partnertrennungsunternehmen als Kritik an der Bedarfs-, Anhäufungs- und Verkuppelungsgesellschaft zu lesen?

Nimmt Rafael Horzon also Bruch- und Versatzstücke, Modalitäten und Prinzipien der herkömmlichen Kunst- und Unternehmerwelt auf – wie jene kanonadisch zusammensalbaderten Claims seines Verkupplungsbüros, um daraus sein krudes Gesamtkunstwerk zu stricken?

Bis zur Bedeutungslosigkeit zusammensalbaderte Claims?

Körperpuder-Odeur und einen Morgenmantel aus Seide kann ich mit meinem verklebten und schmalen Blick von meinem Klappstuhl hier hoch oben im Hörsaal, bei Horzon – der gerade eimerweise, im Mailwechsel mit Christian Kracht diskutierte Arbeitstitel für sein Buch durchbeamert – erstmal nicht ausmachen.

 

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Christian Kracht war ja Anstifter zum Schreiben seines Buches. Die beiden können offenbar ganz gut miteinander. Achtung: ein Indiz für die Kunstnähe in Horzons Hudeleien. In seiner Poetik-Vorlesung schildert Horzon, wie er mit Kracht an der deutsch-polnischen Grenze herumreiste, zeigt Photos eines etwas derangiert in einem zerwohnten Hotelzimmer hockenden Christian Kracht und lässt uns wissen, dass Kracht im Ausfahren von Regalen „die neue Wirklichkeit“ sehe. Im Weiteren haben Kracht und Horzon dann noch angedacht ein Theaterstück zu schreiben, wussten aber nicht so recht wie und worüber, riefen den Bomberjacken-Uslar an, das brachte irgendwie auch nichts richtig und so schwitzten sie, der möbelmachende Horzon und der struppige Kracht, sich so durch die Sommertage bei Stettin. All das schildert Horzon in der heiteren Manier eines Buddy-Movies. Aus dem literarischen Beschreiben des Versuchs eines Theaterstücks wird so ein Versuch über das Theater. Puh, Glück gehabt. Alles nur gewohnt arty Stoff hier, kein Unternehmerscheiss. Ich kann mit meinen alten Feindbildern beruhigt wieder nach Hause gehen.

Am Ende der Poetik-Vorlesung fragt ein findiger Grauhaariger nach, ob der Horzon denn in seinem Tun immer auch den Duchamp und den Beuys mitdenke. Horzon bejaht dies besänftigend und ergeht sich, bevor die Uhr auch die verzwirbelsten Überlegungen vertreibt, noch kurz in einigen Ausführungen zum Schlagwort „Kunst“ und wer oder was sie zu solcher macht und wie man – besonders also er, der Horzon – sich dagegen erwehren kann und muss. Denn das Feuilleton lässt den Herrn Horzon nicht so einfach als „Unternehmer“ durchgehen. Es ist nicht „nur“ ein Unternehmersein, dass er da pflegt. Sein „Tun“ ist immer auch ein „Wirken“, seine „Geschäfte“ sind also immer auch „Kunst“.

Rafael Horzon fässt sich in Greifswald an die eigene Nase
Rafael Horzon fässt sich in Greifswald an die eigene Nase

Interventionen mit Imitationen?

 

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Zu phänomenologischen Readymades, also – in duchampscher Denke – zur Kunst erhobenen Erscheinungen und Angelegenheiten des (geschäftsweltlichen) Alltags lassen sich Horzons Sachen natürlich auch nicht erklären, denn da ist ja ganz und gar nichts fertig vorgefunden oder bereits gemacht und schon gar nichts davon zu irgendwas erklärt. Im Gegenteil: der fleißige Herr Horzon muss das ja alles – er ist ja Unternehmer schließlich – selber machen: sich das alles ausdenken, es erfinden, Strategien konzipieren, Umsetzungen entwerfen, Firmen gründen und äußere Identitäten, im Falle der Wissenschaftsakademie sogar eine ganze akademische Parallelinstitution aus dem Boden stampfen. Ist der ganze Daffke jetzt also eher Daniel Düstentrieb, Business-DADA, Geschäftsleute-GAGA oder dann doch Marcel Duchamp. Harte Kiste. In jedem Fall aber ist es schon eine große – hoppla! – Kunst, so ein fleißiger Unternehmer wie Rafael Horzon zu sein. Mit all den praktischen Regalen, den sicherlich sehr leckeren Apfelkuchen, den ambitionierten Fassadenverschalungsplänen von mindestens ganz Berlin und den formschönen, wie mit einem Spirographen entworfenen, nach den Behaglichkeitskriterien der DIN 1946 Teil 2 ausgerichteten Lüftungssystemen mit ihren Drallauslässen, Deckenluftdurchlässen und Stahlblech-Abluftkanälen.

Wer hier noch denkt, der Horzon triebe einen großen Ulk, der hält Dralldurchlässe und DIN-nomierte Behaglichkeitskriterien wahrscheinlich auch für spinnertes Gagschreiber-Vokabular. Doch es ist alles echt im System Horzon. Aus all diesem Echten kann vielleicht sogar jene von Christian Kracht beschworene „neue Wirklichkeit“ werden.

 

Finten, Kniffe und Faxe als Impact?

Der Hörsaal wird zum Hühnerstall und alles raschelt, kreucht und fleucht, strebt und schiebt sich von den Sitzreihen nach vorn, richtung Ausgang. Ich – mich gerade so vom Schock der Menschenmengen aklimatisiert – mache, dass ich rauskomme und werfe mich wieder mit voller Wucht in das süße Phlegma meines Winternachmittags.

Wo genau jetzt der Einwirkungswert dieser ganzen Finten, Kniffe und Faxen von Rafael Horzon liegt, wo der gesellschaftliche Impact hier genau auftrifft, ist an dieser Stelle nicht zu klären. Rafael Horzon jedenfalls referiert über sein Zeug in einer sonderbaren Mischung aus jener teilnahmslosen Erzählweise, mit der schrullige Hobbyerfinder über ihre Apparaturen dozieren und dem eitlen Gebrabbel eines geschäftstüchtigen Gecks. Wo nachmittags noch eine Poetik-Vorlesung stattfand, kündigt der Flyer den 2. Teil des horzonschen Stadtbesuchs, eine Abendveranstaltung am Kunstinstitut, schlicht als „Performance“ an. Da weiss man, was man hat.

Am Ende ist’s eh wurscht: ob man Kunst, Möbel oder Müllmann macht. Nur aus einem inneren Kern der Authentizität heraus entsteht Würde. Alles andere ist nur Etikette, Schwindel und Sloganscheisse. Auch das ist natürlich als Widerschein – powered by emotions – in Horzons Tun immanent.

Man kann sich Horzon am Besten mit Fragen nähern. Manche davon wirft Horzon selbst auf, andere scheinen um seine Unternehmungen – die er hier und dort, mit geschickt gesetzten Bezügen, Referenzen und Testimonials als Kunst markiert – als Fragenblasen auf. Einige bleiben unbeantwortet. Genau darin liegt das Element der Kunsthaftigkeit im Hause Horzon.

Martin Hiller

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Credits:

Das Header-Bild zeigt eine Bearbeitung eines Photos von Franziska Sinn.

Zum Autor:

Martin Hiller macht, als human happening, Musik unter dem Namen Huey Walker und in der Gruppe The Kanadagans. Er betreibt das Label Rakkoon Recordings und unternimmt Tätigkeiten im Grafikdesign als Nouvelle Walk – Agentur für visuelle Wege. Als Autor und Journalist veröffentlichte er in Tageszeitungen, Zeitschriften und Online-Medien. Er betreibt mit Kommen People – Magazin für Leute, Lebensart und Langeweile eine eigene Plattform für die Publikation von Texten und Artikeln essayistischer Art. Im Radio gestaltete er viele Jahre abendfüllende, redaktionell selbst verwaltete Formate wie die Zonic Radio Show Nord und führte in diesem Rahmen Interviews mit Menschen aus Musik, Pop-Kultur und Kunst.