Zeit, ihr Vergehen und Phänomene von Verschwinden und Zersetzung spielen in der Musik von William Basinski seit drei Jahrzehnten eine Rolle. Auf "A Shadow In Time", das abermals mit berückenden Tapeloops arbeitet, erweist er sich wieder als bedachter Wähler des zu Wiederholenden und eloquenter Entscheider des Wegzulassenden.

Zeit, ihr Vergehen und die damit verbundenen Phänomene von Verschwinden und Zersetzung spielen in der Musik von William Basinski seit drei Jahrzehnten eine Rolle. Noch heute geht er immer wieder tief rein, in sein eigenes Archiv – musikalisch und damit letztlich auch biographisch: Basinski taucht in seinen eigenen Zeiten und beschaut ihre Schall- und Hallräume von allen Seiten des tonalen Glimmers. Sein neues Album nennt sich „A Shadow In Time“.

William Basinski – Verwalter seiner klanglichen Fundsachen

Die Zeit spielt in der Musik von William Basinski seit mehr als 30 Jahren eine wesentliche Rolle. Schon seine musikalische Biographie hat einen eigenwilligen Verlauf: zwischen Aufnahme und Veröffentlichung der Stücke seines ersten Albums lagen 16 Jahre. „Shortwave Music“ erschien 1998 bei Rastermusic, dem Vorläufer des heutigen Raster-Noton-Labels. Bereits 1982 nahm Basinski die darauf enthaltenen Stücke mit Tapeloops und Kurzwellenradio auf. Ansonsten verdingte er sich seit den 1980ern als Saxophon spielender Dandy und Betreiber seines — in glamourgesottener „baroque beauty“ wurzelnden — Clubs  „Arcadia“ in Williamsburg, New York. In dieser Zeit experimentierte er mit Tapeloops und sammelte musikalisches Material, das er später auf seinen Alben auswertete. Mit den sich selbst zersetzenden Bandschleifen der Release-Serie „Disintegration Loops“, wurde diese Arbeitsweise im Jahr 2001 dann zu einer Art Basinski-Trademark.

William Basinski, ALAC Theatre, 2017 (Photo: Gina Clyne)
William Basinski, ALAC Theatre, 2017 (Photo: Gina Clyne)

Auf diesen vier Alben verdichtete Basinski das Prinzip der sich selbst — in endloser mechanischer Reibung und organischem Loop-Leiern — auflösenden Bandschleifen.

Die dort verwendeten klanglichen Bruchstücke erwühlte Basinski in seinem Fundus von Magnetbändern mit eigenen Aufnahmen vergangener Jahre. Die Auseinandersetzung des Künstlers mit den schon halb zersetzten Tonbändern war ebenso ein musikalischer, als auch ein autobiographischer Akt.

Die berückende Musik addierte sich mit den technischen, prä-digitalen Eigenheiten der Tonbandgeräte zu einem zeitfrei in seinem beharrlichen Leiern herumschwappenden Bassin aus Zeitlupen-Loops. Diese in die Jahre gekommenen Bandschleifen begannen sich sprichwörtlich aufzulösen. Die auf dem Magnetbandmaterial enthaltenen Melodien zerliefen und zerrieben sich zwischen den sie abtastenden Tonabnehmern. Basinski verdichtete sie in endlosen Wiederholungen zu romantischen Etüden des Vergehens. Jede Wiederholung des Loops klang marginal anders, wurde undeutlicher, verlor seine Details und gewann dabei zugleich — in der eigenen musischen Logik — an Tiefe. In ihrem Verschwinden entstand etwas Neues: Musik.

„A Shadow In Time“

„A Shadow In Time“ nun greift die zergehende Stringenz der endlos mäandernden Bandschleifenschleife wieder auf und verbindet sie mit eher synthetischen Klängen aus dem Voyetra 8 Synthesizer.

Obwohl bekannt für seine Bandschleifenstücke, so arbeitete Basinski auch schon zuvor mit dem Voyetra Synthesizer. Sehr deutlich ist er auf seinem Album „Watermusic II“ zu hören: warm, plätschernd, lindernd. Auf dem neuen Album „A Shadow In Time“ erfahren diese Klänge, im Wechselspiel mit den Tapeloops, eine Trübung und Verneblung. Ihr warmer Charakter wird kristalliner, auf eine luftige Art eisiger, opaker, schattiger.

Kristalliner, eisiger, opaker

William Basinski - "A Shadow In Time" (Cover)
William Basinski – „A Shadow In Time“ (Cover)

Im Stück „For David Robert Jones“ taucht wieder — auch so ein Wühlen in der eigenen Biographie — das Saxophon auf. Im ursaxphonischsten Sinne: klagend, trauernd, wiegend. Und ja, es referiert im Titelnamen und im verwendeten Saxophon auf David Bowie.

Das zweite Stück, „A Shadow In Time“ klingt strahlender, offener, in mehrere Richtungen hin aufperlender. Dichte Wolken synthetischer Drones wehen als schwarmhaft schwellendes Gebilde voran, einer eigenen, inneren, zeitlichen Ordnung folgend. Die schimmernden, höheren Frequenzen gleiten über einen Grundpuls, mal schneller, mal langsamer, scheinen beizeiten stehen zu bleiben und den wattigen Klangberg in seinen Ausdehnungen zu umforschen.

Alles verdichtet sich im Hall, nimmt in dessen stehendem Strudel dann auf halber Strecke eigene Flirrfahrt auf und zerstreut sich — unter dem Mantel der matten, perlenden Bandschleifensounds — in alle spektralen Richtungen. In einer Art plätschernden Coda kommt in den letzten fünf Minuten ein schnarrendes Klavier dazu. In seinem knöchernen Blechern scheint es der vorangegangen Musik noch irgendwas sagen zu wollen, als eine Art Antwort, als ein Nachruf, als eine Projektion, die das Vorhergewesene anders, neu und schemenartig abbildet: als Schatten in der Zeit.

Wizard of Loops

Das Werk Basinskis funktioniert ein Stück weit auch über seine schillernde Person. Ein bisschen wie eine Mischung aus einem Glamrock-Superstar und einem Show-Magier im Glitzerhemd schaut er ja aus, wenn er da so live versunken vor seinen Tonbandgeräten steht und über die dort entwehenden Klangfolgen zu wachen und zu meditieren scheint. Ja, er überlässt in seinen Stücken viel dem Zauber. Die sich selbst zersetzenden Bandschleifenloops auf „Disintegration Loops“ sind kaum mehr als, in alte Bandmaschinen eingespannte und in endlosen Wiederholungen laufende Bandschleifen. Auch auf „A Shadow in Time“ behält er dieses technische Setup bei. Es bandschleift hier abermals in markantem Magnetbandklang.

Eine von Basinskis Hauptaufgaben in seinen Kompositionen ist also das Finden des optimalen Loops. Er ist hier also der Selektor. Irgendwie sind wir somit auch beim Soundsystemischen und beim Dub — und damit wieder beim Magician, beim Wizard of Loops.

William Basinski (Photo: Peter J. Kierzkowski)
William Basinski (Photo: Peter J. Kierzkowski)

Basinski gelingt es auf den vorliegenden beiden Stücken abermals genau jene musikalischen Schleifen zu selektieren, die ein hohes semantisches Potential in einer einzigen Phrase enthalten. Jene leiernde Wiederholung, die das Grundprinzip seiner Musik ist, setzt über die Laufweiten der Stücke dieses Potential in all seinen Facetten frei. In der Wiederholung entfaltet sich ihr Wesen.

Die Ungenauigkeiten der Tonbandschleifen; die Phasenverschiebungen die entstehen; das Klangbild, das die alten Bandmaschinen per se mit sich bringen — all das ist hier wesentlich. Mehr braucht es nicht. Die Stücke klingen immer milchig, leiernd, es fehlt auf eine tief beseelte und berückende Art und Weise an Klarheit und Punch — was den traumwandlerischen Charakter nur fördert.

Wähler des zu Wiederholenden

Basinskis musikalische Rollen sind hier also diese: er ist ebenso der Wähler des zu Wiederholenden, als auch der Entscheider des Wegzulassenden. In diesem Sinne atmet die Musik durch bloßes Handanlegen und Dabeisein den Geist seines Schöpfers.

Der Titel sagt schonmal viel: „A Shadow In Time“. Basinski überwindet Zeit in seinen langen Stücken. Er lässt seine Loops so lange melancholisch leiern, bis man ganz in ihnen drin, dann irgendwann ihre ganze Räumlichkeit und ihre Schatten — ergo Echos — hören kann. Klingt hochromantisch? Ist es auch, samt all der guten, schweren, bleiernen, gewichtigen Seiten.

Die allerschönste Zeitverschwindung

Das Verschwinden und Vergehen in und mit dem Faktor Zeit spielt bei Basinski also immer noch eine Rolle. Auch 16 Jahre nach seinen mustergültigen „Disintegration Loops“ ist Basinskis Musik immer noch die allerschönste Zeitverschwindung.