Ob und wie elektronisch sequenzierte Musik in Live-Darbietungen funktioniert ist ja immer so eine Sache. Mit ein klein wenig technischem Knoff-Hoff und einem gesunden Willen zum Experiment kann das durchaus eine gelingende Sache sein. Kurt Wagner realisierte die "Flotus"-Stücke von Lambchop in Köln mit örtlichen Musikern aus E-Musik, Elektronika und Hip Hop. Davon gibt es jetzt eine Video-Doku und den Audiomitschnitt.

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Kurt Wagner reiste im Herbst 2016 ohne Band nach Köln und setzte die neuen, elektronisch geprägten Stücke von Lambchop mit lokalen Musikschaffenden um. Jetzt gibt es einen Audiomitschnitt und eine Video-Kurzdokumentation.

„Flotus“-Movements in Köln

Ob und wie elektronisch sequenzierte Musik in Live-Darbietungen funktioniert ist ja immer so eine Sache. Mit ein klein wenig technischem Knoff-Hoff und einem gesunden Willen zum Experiment kann das durchaus eine gelingende Sache sein. Manche Producer begnügen sich aber auch einfach damit fertig geschnippselte Trackversatzstücke live mehr oder weniger nur parallel abzufeuern und, wenn man so will, die Parts im Livemodus schlicht und risikofrei aneinanderzuperlen.

Söhnlein Brilliant und Kurt Wagner
Söhnlein Brilliant und Kurt Wagner

Spannend wird ein elektronischer Live-Act nun immer dann, wenn die vorhanden Stücke und deren Versatzstücke Grundlage sind für neue Wege und Bewegungen. Wenn sie live dergestalt manipuliert und verwoben werden, dass eine neue, dem Album nicht identische Organik entsteht. Der Musiker ist dann hier der Live-Arrangeur der mehr oder weniger – ob als programmierte Sequenzen, festgelegte Effektstrecken oder zurechtgelegte Samples – bereits existierenden Parts. Wir können hier durchaus von Movements sprechen. Lambchop waren immer schon – in ihrer zwanzigjährigen Geschichte, wurzelnd in den flockigen Langsamkeitswelten der Americana – meisterliche Verwalter des Verwobenen. In großer Bandbesetzung spielen sie ihre Stücke mit milder Oppulenz in elegischer Breite. Ihr neuestes Album „Flotus“ nun wagte einen ganz anderen Ansatz: Kurt Wagner ließ seiner heimlichen LIebe für elektronische Musik freien Lauf. Herausgekommen sind nicht weniger verwobenheitsverliebte, so doch aber stilgemäß rhythmischere Stücke.

Mit erwähnten Movements realisierten Lambchop im vergangenen Herbst im Rahmen des WEEK-END-Festivals in Köln eine Live-Darbietung der Stücke von „Flotus“. Neben elektronischer Musik, gab es dort, mit Retrogott, auch lupenreinen Hip Hop.

Filterwolken und Stolpern

Jetzt gibt es den Konzert-Abend im Audio-Stream sowie eine Kurzdokumentation als Video.

 

Kurt Wagner und Gregor Schwellenbach
Kurt Wagner und Gregor Schwellenbach

Kurt Wagner singt und wirkt mit seinen Vocals, schickt sie durch einen Vocoder und agiert im Zentrum der Performance als eine Art Master of Ceremony. Als menschlicher Anker, der die maschinellen Seiten in dem digitalen Bleep-Blues und elektronischen Country-House (wie soll man Lambchops Reinkarnation im Koordinatensystem zwischen Kanye West und Kraftwerk halt sonst betiteln?!) irgendwo in der Lambchop-Welt erdet. Ansonsten geht es mit diversen Kölner Musikschaffenden freimütig und mutig weit weg von den Albumversionen.

„JFK“ beginnt in der Umsetzung mit Gregor Schwellenbach mit lichten Rhodessplittern auf stehendem Drone. Kurt Wagner vocodert bedeutungsvoll, ein angenehm punchloses Loop einer Drum Machine klöppelt sanft bis sich schließlich ein wobbelnder Acid-Bass hineinwurmt und alles nach einem kurzen Aufbäumen von Filtersweeps wieder in die Bedächtigkeit des Anfangs abebbt.

„Harbor Country“ morpht sich in der Bearbeitung mit Söhnlein Brilliant in eine sägegezähntes Schürfen. Die trappigen Off-Beat-Rhythmen des folgenden „Writer“ gewinnen im Livebetrieb an zuträglichem Stolpern, um dann die Fläche frei zu machen für leuchtende Akkordbögen.

Philipp Janzen, Marvin Horsch, Kurt Wagner und Gregor Schwellenbach
Philipp Janzen, Marvin Horsch, Kurt Wagner und Gregor Schwellenbach

Die Kölner Gruppe Colorist (Fridolin Körner, Caroline Kox, Antonio De Luca) hievt die Stücke aus ihren warmen Albumbetten komplett heraus. Mit dem Trio wird „Relatives #2“ von seiner fröhlichen Grundierung entschlackt und entpuppt sich musikalisch als hochschaukelndes Crescendo. Manchmal drohen die elektronischen und menschgemachten Instrumente dabei, im Eifer der Intensität, ihre Synchronizität zu verlieren – und genau dann wird es ja sowieso immer am geilsten.

Audio-Stream und Video-Dokumentation

Gregor Schwellenbach am Rhodes
Gregor Schwellenbach am Rhodes

Auch „NIV“ führt diesen Steigerungsgedanken fort. Vocoder trifft auf Saxophon. Alles strahlt und steht, ein stoischer Beat bringt dann Bewegung ins Spiel. Am Ende zerfällt alles hinter Resten von Bläsersätzen in seine glitzernden Splitter.

Auch das auf dem Album 18 Minuten lange „The Hustle“ erfährt mit Philipp Janzen und Marvin Horsch eine Neudeutung. Der straighte Groove des Originals wird hier mit Gitarre und Percussions etwas fransiger, versprüht mit zischelndem Schisslaweng wieder analogeres, handgemachteres Flair.

In einer zehnminütigen Kurzdokumentation erhält man schöne Einblicke in die Proben und das Konzert. Dazu erzählt Kurt Wagner von seinen musikalischen Ideen, besonders von jenen, die ihn bei „Flotus“ beschäftigten.

Ein aufschlussreiches Interview zu den „Flotus Movements“ ist bereits im Herbst 2016 bei Kaput erschienen. Kein Wunder, sitzt doch das Kölner „Magazin für Insolvenz und Pop“ direkt an der Quelle.


Photos: Video-Stills aus dem Video von WEEK-END