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Oren Ambarchi entwickelt, vom Standort Australien aus, seit vielen Jahren schon seine variantenreichen Ideen von experimenteller Musik, die als verbindendes Element ihre Herkunft fast immer irgendwo in, an und um die Gitarre als Klangerzeuger herum hat. Da er eigentlich aber vom Schlagzeug kommt, hat er einen rhythmischen, groovenden, dem Pulsieren zugewandten Zugang zur Gitarre. Mal entlockt er dem Saiteninstrument fast sinustonartige, schlafwandlerisch perlende Tontropfen, in seinen Solo-Performances lässt er sie mit allen Ober- und Zwischentönen dronen und dann wieder verdichtet er das Tröpfeln zu gerafften, repetetiven Klangclustern, deren rhythmische Dichte im Repetetiven ein Fließen erzeugt.
Tröpfelnde Tontrauben und Klangcluster
Auf seinem aktuellem Album „Hubris“ geht Oren Ambarchi wieder ins explizit Rhythmische. Abermals vereint er eine Art Allstar-Cast der experimentellen Musik und verwebt dessen musikalische Beiträge in eine pluckerndes Fundament gedämpfter Gitarrensaiten. Ausserdem dabei: Ricardo Villalobos, seineszeichens Hans Dampf in allen elektronischen Groove-Gassen von Avantgarde bis Afterhour.
Obwohl man Ambarchi eher mit seinem verschiedentlichen Mitwirken in der sogenannten exerimentalmusikalischen Avantgarde als mit ramdösigem Afterhourklickerklacker assoziiert, ist es keineswegs ein schrulliger Genreclash, den er hier mit Villalobos realisiert. Auf seinen letzten Alben ging Ambarchi bereits in rhythmusbetonte Richtungen: „Sagittarian Domain“, in seinem Grundgerüst an einem Studiotag eingespielt, ist ein puristischer Mid-Tempo-Stomper mit Wurzeln im Krautrock. Ambarchis Schlagzeugspiel und ein minimaler Basslauf bilden hier die Basis, die in ihrem motorischen Groove allein schon an Faust und Can denken lässt. Darüber entzwirbeln sich Ambarchis Gitarrendrones, wie Segel über einer stoisch pumpenden Galeere. Uhrwerkartige, gedämpfte Chords, Moog-Synthesizer und schlussendlich sirrende Streicherarrangements hieven dieses Schiff aus Musik dann noch höher, in die Hitze der Nacht, in eine Irrfahrt zwischen – der Albumname erregt diese Metapher – Sternenbildern. Also alles natürlich wieder auch irgendwie: kosmische Musik.
Auf dem darauf folgenden „Quixotism“ (2014) geht Oren Ambarchi mit verschiedenen Musikern in alle möglichen Winkel und Windungen der rhythmischen Hypnotik. Einen von Thomas Brinkmann beigesteuerten, elektronischen Grundpuls zerklüftet er mit tröpfelnden Pianosplittern, Percussions und Tablas. Hier geht es weniger motorisch, eher verspielter als auf dem Vorgänger und mit Jim O’Rourke, John Tilbury (The Scratch Orchestra, AMM) und dem Icelandic Symphony Orchestra auch stilistisch über mehrere Klangwelten und experimentalmusikalische Generationen verschränkt zu. Diese Verschränkung der Klangkosmen geschieht durch das Wurmloch des Pulses.
Auch Ricardo Villalobos exzorziert in seinen, manchmal endlos langen Stücken das Pulsieren im Geklöppel. Ambarchi und Villalobos loten beide, ausgehend von einer stilistischen Reduktion, ihre Musik in allen Facetten der maximal-minimalistischen Möglichkeiten aus. Bei Villalobos sind es die mikroskopischen Twists&Tweaks, die seine polyrhythmischen Tracks so minimal wie variantenreich machen. Bei Ambarchi ist es eine Liebe zur Textur. Mit ausgiebigem Einsatz von frequenzdehnenden Ringmodulationseffekten lässt er seine Gitarrendrones klingen, wie ein blechreich gespieltes Free-Jazz-Schlagzeug – in Becken, Crash und Hi-Hats die stehenden Töne suchend.
Oren Ambarchi – „Hubris“
Auf „Hubris“ geht es wieder stringenter, im Sog des erwähnten Pulswurmlochs kreiselnd zu. Villalobos steuerte für eines der drei darauf enthaltenen Stücke den rhythmischen Backdrop bei.
Die Credits listen „guitars guitars guitars & voice“ als Ambarchis musikalische Parts. Es geht also wieder um Schichtung und Verdichtung variantenreicher Aspekte der Gitarre. Ausserdem holte sich Ambarchi eine Hand voll Gäste in sein durch krautige Gewässer treidelndes Glasbodenboot. Keith Fullerton Whitman, Jim O’Rourke, Crys Cole, Joe Talia, Will Guthrie (beide Drums), Mark Fell, Jörg Hiller und Arto Lindsay steuern Sounds und Rhythmen bei.
„Part 1“ beginnt wie ein Stück von Kreidler. Jene spannende Dynamik zwischen pumpenden Loops und drumherum treidelnden flächigen Sphären ist auch hier bestimmend. Die Motorik Beats, die bei Kreidler relativ bald einsetzen um einen Track nach vorne treiben, bringt Ambarchi hier erst in den letzten 4 Minuten dieses LP-seitenlangen Stückes ins Spiel. Vorher umforscht Ambarchi die klanglichen Elemente und lässt sie in- und umeinanderschachteln, pulsieren und fließen. Um den rhythmischen Grundpuls treideln, wie in verschiedenfrequent spiralenartiger Umschlingung (mal also gedehnt und bassig, dann schneller und ratternder) synthetische Klänge. Nach acht Minuten rufen aus dieser perkussiv dahinschleifenden, kosmischen Autobahn näselnde Synthesizer-Signale heraus. Wir hören Jim O’Rourke am „guitar synth“. Es folgen metallisch-echotische Nuancen von Jörg Hillers alias Konrad Sprengers „motor guitar“, einer computerkontrollierten, digital nach euklidischem Algorithmus gespielten Gitarre, die schwirrende Obertonrhythmen in das pausenlose Pluckern installiert. Schlussendlich mündet alles in eine von trockenen Claps (Beats von Mark Fell) stoisch beklatschte, letzte Variation bevor der gedämpfte – man hätte es fast vergessen: in Gitarren wurzelnde – verwobene Grundgroove langsam auströpfelt.
Das nur knapp zwei Minuten kurze „Part 2“ verbindet die beiden langen Stücke, so sagt es der Pressetext, als Reminiszenz an den französischen Rock-Avantgardisten Albert Marcoeur. Hier werden spröde Versatzstücke von lichten Gitarrenpickings zu einer kleinen, das große Pulsieren pausierenden Miniatur zusammengesetzt.
„Part 3“ schließt dort an, wo „Part 1“ aufhörte. Das rhythmische Rütteln ist hier die Basis für freistiliges Doppel-Schlagzeug von Joe Talia und Will Guthrie, elektronische Beats von Ricardo Villalobos und die kaum im Zaum zu haltenden No-Wave-Gitarren von Arto Lindsay. Alles wirbelt in zappeliger Ordnung um die Rhythmusgrundierung von Villalobos. Am Ende tauchen dann wieder die Ambarchi-typischen, pitch-modulierten Gitarrendrones auf, die schlussendlich alles in einen wirbelnden Freeform Freakout ausufern lassen. Wer „Interface“ von den französischen Progressiv-Rockelektronikern Heldon kennt, hat einen guten Näherungswert. Als Album ist „Hubris“ geraffte Energie, die in „Part 1“ ihre eigene Schub- und Hubkraft verdichtet, um sich dann im dritten Part zu entladen.
Ambarchis Liebe zu Drones präsentieren sich dieses Mal als repetetive Mikropatterns gedämpfter und nachklingender Gitarrensaiten. Die erwähnte Textur ist hier flirriger, zappeliger, aus vielen kleinen Bröckchen zusammengeclustert zu klackernder Flächigkeit – und dabei bestens symbiotisch mit den musikalischen Ideen eines Ricardo Villalobos.
Die Villalobos-Variationen
In seiner „Hubris Variation“ arbeitet Ricardo Villalobos jetzt in einer knappen halben Stunde das hypnotische Gluckern und Klackern in allen Seiten- und Saitensträngen aus. Von melodischen und flächigen Elementen weitestgehend entkernt. Purer Villalobos also.
Seine Remixe und Edits erscheinen in schier rastloser Folge. Man fragt sich, wann und wie er diese Dinger zusammenschraubt. Ob er zwischen seinen DJ-Gigs, im Flugzeug und Hotel, am Laptop schnell ein paar perkussive Patterns über- und hintereinander haut und sie nach einem Mischsystem aus lose daherprogrammierten Parameterwechseln und katerlaunigem Klötzchengeschiebe mehr oder weniger sich selbst überlässt, oder ob er doch daheim, im Studio, an seinen analogen Gerätschaften und ihren verkoppelbaren Parametern tweakt und sie so lange herumkalonkern lässt, bis er einen guten Part im Kasten hat. Beides scheint der Fall zu sein. Nicht selten wirken seine Tracks in ihren Wendungen auf sympathische, organische, also musizierte Art etwas wirr und beliebig. Auch in seiner „Hubris Variation“ sind die geraden Claps und Snares paradoxerweise das schmückende Beiwerk in dem endlosen Geschmück polyrhythmischen Geklonkers. Sie kommen manchmal ohne eine elegant arrangierte Ankündigung in das fließende Geklöppel und verschwinden dann wieder ohne größeren Zauber zu hinterlassen. Sehr improvisatorisch. Mal gibt er den erwähnten metallisch-perkussiven Patterns fünf Minuten, dann lässt er eine kleine Weile die Hi-Hats zischeln. Villalobos scheint mit dieser ihm typischen Beiläufigkeit mal eine Variation, eine Idee, einen Parameter – wie nur um mal zu schauen, ob es gut mitgroovt – reinzuschmeißen, wie eine obskure Platte bei einer Afterhour, wenn die Leute entweder schon gut dabei oder komplett nicht mehr bei Sinnen oder in ihren ganz eigenen, im besten Falle in der Energie der Party miteinander verbundenen, Sinneswelten sind. Wenn der DJ sich seine Audience also erspielt hat.
Die Magie der Wiederholung
In der ersten Viertelstunde seiner „Hubris Variation“ erspielt sich Villalobos hier seine Zuhörenden, er erzieht sie. Er perlt erstmal die Parts, Bits, Blonks und Swirls, also das Grundmaterial der zugrunde liegenden Loops auf seine klonkernde Klangkette. Dann lässt er immer mehr, auch melodischere, in ihrer Seltenheit der Variation also spektakelartige, akustisch wirkmächtige Trigger in sein endlos zu bebastelndes Tune. Nur um sie dann erstmal wieder ohne größere Logik im Arrangement mit einem schlichten Fade-Out rauszunehmen und etwas anderes, eine andere Variation anzubieten. Ab und zu zwirbelt er sein endloses On-Off-Geraffel dann auch mal zu betont schrillem Glitchgeplonker hoch, wie um den andächtig Lauschenden auch mal einen „Aha?! Moment!“-Moment zu schenken.
In diesem Sinne ist in der elektronischen Villalobos-Welt alles organisch, intuitiv, ohne prolligen „Jawoll!“-Faktor und deshalb also minimal, damit bei aller Spontaneität auch irgendwie verkopft und letztlich nah am repetetiven Strömen, wie es von Can bis Kraftwerk vorexperimentiert wurde.
Die Magie der Wiederholung ist hier – sowohl bei Ambarchi, als auch bei Villalobos – eigentlich gar keine. Bei allem repetetiven Ruckeln und Zuckeln ist es hier das endlose, eng verwebte Vorwärtsrattern und nicht ein in Schleifen sortiertes Loopgebilde, das die Hypnotik entstehen lässt. Damit schließt das an all das an, das man gern mit dem Behelfsbegriff „Krautrock“ bezeichnet, und damit jene musikalische Ära meint, in der man produktionsmittelbedingt als Musiker noch selbst die Loopmaschine sein musste und das Verwalten des Pulsierens eher eine Frage der gespielten Sequenzen und weniger eine der verwendeten Techniken war. Das Arrangement enstand und entsteht im Fließen.
// Martin Hiller
Album: Oren Ambarchi – „Hubris“
Label: Editions Mego
Album: Ricardo Villalobos / Oren Ambarchi – „Hubris Variation“
Label: Black Truffle
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