Hotels sind in ihrem Spannungsfeld zwischen neutraler, jeden Tag vom Room Service neu genullter Wohnlichkeit und den Geschichten, die ihre Gäste dort – im endlosen Wechselspiel aus Ein- und Auschecken – in die Zimmer tragen, äußerst erlebnisgesottene, manchmal auch zerlebte, für die dort zeitweise Wohnenden jedenfalls temporär erlebte Orte.
Chilly Gonzales und Jarvis Cocker gastieren im Room 29
Hotels sind – sieht man von modernen Ferienbunkern und gefühlskalten Quartieren für Handlungsreisende mal ab – in ihrem romantischen, eventuell etwas gestrig-romantisierten Idealbild, Herbergen von angenehm pflichtenloser Anonymität. Das meiste wird hier ja für einen gemacht. Unausgesprochen einvernehmlich finden hier, in sich gelegentlich überschneidender Parallelität, die stetig walzernden Auswüchse menschlicher Sorgen, Wünsche, Sehnsüchte und Träume statt. In dieser vitalen Schnittmenge aus zwangsläufiger Öffentlichkeit mit zimmer- und zeitweise erkaufter Privatsphäre; in diesen daily routines, von denen man als Mieter immer nur ein erleichternd kleiner Teil ist; in diesen Orten des Dazwischenseins ist man immer irgendwie Gast im eigenen Leben.
Hotels als Orte des Dazwischenseins
In die Zimmer des Chateau Marmont haben Gäste aus Pop- und Hochkultur – von F. Scott Fitzgerald, Romy Schneider und James Dean bis hin zu Led Zeppelin – auch so ihre Geschichten eingeschrieben. Diesen Geschichten widmen sich Chilly Gonzales und Jarvis Cocker nun auf ihrem gemeinsamen Album „Room 29“ in 16 Liedern.
Größtenteils geht es hier allein mit Chilly am Klavier und Cocker am Gesang kammermusikalisch, auf das Grundmobiliar einer musikalischen Erzählung also reduziert zu.
Das gedämpfte Schlendern durch diese musikalisch interpretierten Flure des Hotel Chateau Marmont beginnt leise. Chilly Gonzales stellt ein paar Klaviertöne in den Raum, wie über die Jahre vom Staub beflorte, zeitlos noble Vasen. Diese Vasen sehen natürlich auch ohne Blumen schön aus. Es ist hier eher eine Möbelmusik im Sinne Saties und weniger ein mit ornamentalem Gedöns verpudertes Geklimper.
Mattierte Anklänge an Satie
Chillys Klavier klingt, wie auf seinen Solo-Piano-Alben, angenehm mattiert. Als müssten diese unaufgeregten Klänge sich erst durch einen alten Wandteppich diffundieren, bevor sie den Raum bewohnen dürfen – wie gute, staubige Geister.
Jarvis Cocker dreht sich dann, mit dem flüsternden Bariton eines etwas unausgeschlafenen Conférenciers, langsam in dieses Arrangement hinein. Er klingt als sänge er geradewegs in den schweren Kragen seines Cord-Jacketts hinein – mit leichtem Zungenschlag, als sei die Hotelbar sonst sein Ort. So kreiselt es dann eine kleine Weile vor sich hin. Wie Reste von Rauch aus einem Aschenbecher auf dem Sims eines schlierigen Fensters.
Manchmal gerät Cocker ins Säuseln und Gonzales haut mal ordentlich bedeutungsschwanger auf die hohen Töne seines Klaviers. Pling! macht es dann und man wacht als Hotelbesucher (ergo: Hörende) kurz mal auf, aus der angenehmen Schwere seines Schwippses und den dort hineingepolsterten, versonnenen Bruchstücken von Gedanken.
Instrumentale Interludes, die hier und da mit Field Recordings und Sprachfetzen alter Hollywoodfilme belebt sind, streuen sich dazwischen. Dann wieder nestelt sich Jarvis, gespreizt divenhaft, auch hier etwas krumm und schief, mit seiner Stimme ins spärlich möblierte Geschiebe der Klavierakkorde, die mal schwer, mal heiter purzeln, wie Blätter vom Kalender eines so dahin rieselnden Jahres.
Glitter, Koks und Kapriolen
Für „Clara“ versteigt sich Jarvis dann ins Theatralische. Kreiselnd bewandert er das spieluhrend vom Klavier betröpfelte Furnier. Durch die Schlieren des Fensters haut hier auch mal etwas Licht ins Schwarz und Weiss der Tasten. Irgendwer packt später, in „Salomé“, sogar die Streicher aus. Ein leiser Hauch grob paillettierten Konfettis scheint durch den Raum zu fliegen. Im Hotel ist jetzt richtig was los… Dann, einige Zeit später – in „Interlude 2: 5 Hours a Day“ – bleibt nichts als eine kleine, klagende Flöte. Wie ein Kater, der durch den Flur und den eigenen Brummschädel schleicht. Im „Room 29“ gab es über die Jahre neben Glitter, Koks und Kapriolen eben auch immer Drama, Krach und Kummer. Über all das erzählen diese 16 Stücke.
In der samtenen Summe fühlt sich das Album an, wie eine zärtlich spinnerte Aufführung auf einer Probebühne bzw. – mehr noch – wie ein nächtlich-cognaclauniges Radiofeature darüber. „Room 29“ wirkt wie eine schrullige Fingerübung, ein diebischer Spaß unter kunstsinnigen Musikerfreunden.
Chillys Klavier tröpfelt wie drei Tage Regen an die Fenster einer alten Theaterkantine. Jarvis Cocker swingt und croont und tänzelt sich singend, gestenreich durch diese Schnaps- und Lobbylaunen.
Einmal, in „A Trick of Light“, wird der Schlendrian hier dann zum geigenschwangeren Schwelgen. Hier scheinen alle alten Hollywoodgeister ihre opaken Büsten aus dem Gebälk des Zimmers Nummer Neunundzwanzig zu recken.
„Room 29“ ist als Liederzyklus, als konzeptueller Reigen von Geschichten, ein schöner, sehr aparter Schwank liebevoll angefertigter Vignetten über die Geschichten des Chateau Marmont.