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Anlässlich ihres neuen Albums „Lieder ohne Leiden“ soll hier noch einmal ein längerer Text zum 2010 veröffentlichten Album „Songs of L. and Hate“ von Christiane Rösinger seinen Weg in dieses Magazin finden. Throwback-Thursday, oder wie man sowas nennt.
Der Artikel erschien erstmalig 2010 als ausgedehnter, begleitender Textteaser zu einer Ausgabe der damals regelmäßig gesendeten „Zonic Radio Show Nord“.
Songs über das böse L****-Wort und den Hass
„Bin ich nur müde oder ist das schon die erste zarte Novemerdepression?“ ist eine der vielen Fragen an sich selbst und an die Welt, die Christiane Rösinger auf ihrem nun vorliegenden Soloalbum stellt.
Jaja, die alten ollen Grumpel-Jahreszeiten – auf die kann man sich verlassen. Die kommen wieder, die bleiben, die sind planbar und irgendwie aushaltbar.
Das viele Andere, das Rumgewurschtel, das Zwischenmenschliche, das Hick-Hack, das man so mit Allem hat, daran gilt es immer wieder herumzuwerkeln und sich daran zu bewältigen. Ein einziges inneres, spinnertes Rumgeräume immerfort, man kennt das ja.
Neurosen beackern, Lethargien pflegen, mit geschürzten Disney-Lippen fröhlich Trübsal pfeifen. Christiane Rösinger kann davon ein paar Lieder singen.
Hügelsheim & Jammertalsbereisungen
Viele Lieder wurden über das Zuhause – diese nestwarme Schaltzentrale des eigenen Alltags – als Sehnsuchtsort und verfluchtes Spießeridyll schon geschrieben. Christiane Rösinger bringt nun, nach mehr als 20 Jahren als ewig Verkannte, zehn „Songs Of L. And Hate“ mit nach Hause. Im Juli war sie jüngst ja bereits Thema, im Rahmen einer Art Trotz-Allem-Durschwurschtler-Sendung mit den Television Personalities, Swell Maps, den Vermoosten Vløten sowie der liebevollen, von Jan Nikolaus Junker und Sebastian Hoffmann kuratierten, mittlerweile bei Vol. 3 angelangten Sampler-Reihe Berlin Songs.
John Denver führte ganze Schützenfeste auf seinen „Country Roads“ johlend in die Heimat. Eine andere, im menschimmanenten Drang nach Geborgenheit wurzelnde Weisheit behauptet „Home is where the heart is“. Rio Reiser besang sein Fresenhagen in blumiger Haus-und-Hof-Romantik als einen Ort, an dem Krähen im Baum sitzen und Katzen friedvoll durch den Garten schleichen. Tilman Rossmy beschäftigt sich auf „Willkommen Zuhause“ in ganzer Albumlänge mit den Facetten des inneren und äußeren Zuhauseseins. Die Popaufsteiger Wir sind Helden fordern auf ihrem aktuellen Album gar: „Bring mich nach Hause“.
„Sei dein eigenes Hotel“
Etwas als Text auf Papier oder in die Seelenmüll-Textdatei im Computer zu bringen, wurzelt schließlich in dem Anliegen seine Innenwelt zu paraphrasieren, den Feelings und Emotions, die einen so powern ein Haus aus Worten zu bauen: Die Schäfchen ins Trockene, sich selbst ins Reine, den ganzen Plunder und das Seelenmüsli mal sortiert nach Hause bringen.
Christiane Rösinger schreibt seit einem viertel Jahrhundert solche Weltbewältigungssongs. 1996 stellte sie in „Hotel Daheim“ einer losen Anlehnung an Leonard Cohens „Chelsea Hotel #2“, fest: „Überall wo man trotzdem weg will, ist zu Hause“.
Vierzehn Jahre später ist Christiane Rösinger immer noch auf Heimsuche und schlendert auf ihrem nun vorliegenden Soloalbum durch zehn betörende Lamentierlieder.
Bringing It All Back Home
„Bei Christiane Rösinger sind die Worte zu Hause“, schrieb Rocko Schamoni über ihren Roman „Das schöne Leben“. Schon auf dem Spargelacker trällerte sie. Inbrünstig rezitierte sie „Doooowntown“ – auch so ein Sehnsuchtsort-Song – in den frisch gestochenen Mikrofonersatz. Einige Jahre später gründete sie zusammen mit Almut Klotz, Kathrin Fitzner, Heiner Weiß und Funny van Dannen die Lassie Singers.
Die Lassie Singers standen Mitte der Neunziger auf dem Zenit ihrer einigermaßen breitenwirksamkeitsfreien Insider-Bekanntschaft, am großen Erfolg vorbeischrammend und dabei das leistend, was man gemeinhin Pionierinnenarbeit nennt.
Die Lassie Singers schrieben vollendete Pilotsongs für ein unverkrampftes Selbstverständnis weiblicher Akteurinnen im männlich dominierten Pop-Geschäft. Ihre Art von Pop-Feminismus hebelte die maskuline Kerlcoolness ganz ohne winkenden Zeigefinger oder amazonenhafte Female-Power-Exotik, sondern Kraft schierer Textesschläue und Quengeleien zum Liebhaben schlicht aus.
Jenseits der agitationshaften Haudrauf-Behauptungs-NDW einer Annette Humpe oder des Goth-Schrills einer Siouxsie Sioux und lange vor dem katzenhaften Baccharach-Barjazz der Mobylettes und dem Genderbending, wie es Peaches vormacht, schrammelten sich die Lassie Singers, mal wild durcheinander zeternd, dann wieder melancholisch in Vergeblichkeit wühlend, durch kluge, deutsch getextete Alltagsanalysen.
Thematisch ging es dabei einerseits um Beziehungskram: „Mein Freund hat mit mir Schluss gemacht“, „Ich glaub‘ ich hab‘ ein Faible für Idioten“ oder „Uneingeladene Gefühle“ nennen sich die ewig gültigen Feststellungen, Pamphlete und Selbstattestierungen. Manchmal ging es, statt um halberwachsenen Liebestaumel aber auch bloß um Regen, Autofahren und Ausgehen – insgesamt um das Leben als Melancholiebegabte auf dem schmalen Grat zwischen Bohème und Unterschicht.
„Miete, Taxi, Telefon. Alles muss man kaufen. Lebensmittel, Anziehsachen, Strom. Wo bleibt der Mensch wo darf er ausruh’n?“ fragten sie 1996 in ihrem Stück „Wo bleibt der Mensch“. Die Tücken des Alltags, die Zähheit und die Freiheit des selbstbestimmten Sichdurchwurschtelns sind hier Themengeber und Gefühlsmetronom.
„Ich habe kein Geld und weil ich nicht fremdbestimmt arbeiten will, wird das auch so bleiben“ heisst es, eigenwillig im Versmaß, weiter im zitierten Lied.
Und so ist’s: Der große Durchbruch blieb Christiane Rösinger mit ihren Lassie Singers und auch mit der Nachfolgeband Britta leider stets verwehrt.
Lieder für eine Geheime Gesellschaft
Stattdessen geisterten ihre Lieder und Texte als geflügelte Phrasen durch Mixtapes, Häuserwände, Liebes- und Abschiedsbriefe und gaben dumpf erahnten Gefühlen und dem eigenen Zetern über die Welt ein versprachlichtes und mitteilbares Fundament aus potentiellen Zitaten: Leidsharing durch Lassie-Singers-Texte.
„Die Lassie Singers helfen dir“ hieß ihr erstes Album. Hilfe zur Lebenshilfe boten sie, dabei selbst als „Frauen Am Rande Des Nervenzusammenbruchs“ kratzend.
Dabei referenzierten sie – als Zitatmaschine, die sie selbst werden sollten – die halbe Popkultur von Almodóvar (siehe Songtitel im Satz zuvor) bis zu den Einstürzenden Neubauten durch.
Blixa Bargelds kaputten Katzenjammer „Letzes Biest am Himmel“ formten die Lassie Singers in ein überdrehtes Folkpunk-Gehupe im Stile der Violent Femmes aus Milwaukee um. Ihre Instrumente – hervorzuhebenderweise hierbei: ihre Stimmen – spielten die Lassies, wie auch die Femmes dabei in enthusiastischen Performance-Qualitäten zwischen Velvet Underground, den ebenfalls nur damenhaft besetzten Shaggs und einem Lagerfeuerabend mit „Johnny, Jim Und Jack“. Letztgenannte Exzess-Hymne war hierbei das, was für die Hosen „Eisgekühlter Bommerlunder“ war, nur besser…
„Es ist nicht immer Leicht“
Die Lieder von Christiane Rösingers jetzt erschienenem Soloalbum tragen Namen wie „Desillusion“, „Verloren“ oder „Sinnlos“. Dass es sich hierbei nicht um niedlich verholperte Bettkantengedichte einer sinnsuchenden Gymnasiastin, sondern um herbe bis humorige Klagelieder zwischen abwinkender Miesepetrigkeit und lustvollem Genörgel handelt, erklärt sich nicht zuletzt anhand des weitschweifend aufgespannten popkulturellen Rahmens, den sie uns mit an die Hand gibt.
Der Titel des Albums ist eine Anspielung an “Songs Of Love And Hate” von Leonard Cohen. Das Albumcover zitiert Bob Dylan’s „Bringing It All Back Home“ von 1965. Rösinger mimt den jungen Dylan mit Rüschenkragen, die Diva in rot, Sally Grossman, wird hier von Andreas Spechtl dargestellt, seinerseits Sänger und Songschreiber der Ex-Wiener-jetzt-Berliner Schmäh-Popper Ja, Panik. Er sorgte zu weiten Teilen für das musikalische Gewand der Platte, das sich klavierbetont und chansonesk präsentiert.
Umgeben haben sich Rösinger und Spechtl auf dem Cover, wie auch Dylan im Original, mit allerhand Devotionalien aus der Geschichte dessen, was man gemeinhin Pop nennt. Neben einer Ausgabe des ersten Lassie-Singers-Albums (Dylan hatte sein „Another Side of Bob Dylan“ drauf) ist dabei eine bildzentral auf dem Zimmertisch platzierte Schallplatte von John Cales „Paris 1919“ am augenfälligsten. Connaisseure sind sie ja schon, die Rösinger und der Spechtl.
„Hanky-Panky Nohow“
Es handelt es sich bei den Liedern auf „Songs Of L. And Hate“ um zwei Hände voll bitterfröhlicher Lamentierlieder. Zehn Zuhausebleiberballaden und Lied gewordene Analysen übers Ausgehen und den eigenen Argwohn – zwischen Resignation und Reflektion, zwischen lieblichem Hang-Down-Your-Head-Trott und granteligem Geschimpf. Über die rösinger’esk so getaufte Melancholiehypochondrie beispielsweise, einer Ausartung des Sich-gegenseitig-Toppen-Wahns der 00er-Jahre, in denen alles fett, minimal oder „i like“ und bestenfalls eine Akkumulation von Accessoires und Apps sein will – und ein seltsamer Wettbewerb, darum, wer am Weltabhandengekommensten zu sein glaubt, manche Leute anzutreiben scheint.
Im ebenso betitelten Rundumschlag-Gassenhauer „Berlin“ wettert die Rösinger in einer Art besoffenem Klavierwalzer über allerhand Lebensent- und -wegwürfe: Ökomuttis und ihre Arschlochkinder, Parkausflügler und Weitertwitterer, Techno-Leichen, Druffis, Durchis, Laptop-Poser, achtlose Radfahrer und Haufen machende Hunde.
Witzverwandter Existentialismus
Das darauf folgende „Verloren“ ist eine endlose Akkumulation (sic!) von Attributen wie „verbittert“, „verquer“ und „verquollen“, „verdorben“, „verhindert“, „verhundet“, „verwundet“ und „verschuppt“ – eine zerknitterte Abrechnung. Mit wem genau, ob es sich also um nörgeligen Selbst- oder wütenden Beziehungs- oder Weltekel handelt, bleibt die Songschreiberin schuldig. Es ist schließlich ohnehin alles „Sinnlos“, wird das so benannte Stück nicht müde zu betonen. Erwähnterweise handelt es sich bei der rösinger’schen Leidensprosa jedoch natürlich mehr um einen witzverwandten Existentialismus, als um blutleeren Nihilismus.
„Doch ich tu was ich kann
und ich lass mich nicht geh’n.
Mich wird keiner am Boden seh’n.
Ich wart‘ bis sich das nächste Unglück anbandelt,
sich das symbolische Kapital in echtes verbandelt.“
…singt sie, auf Pierre Bourdieu und damit ihr eigenes Dasein als, zwar in Kreisen gefeierte, aber trotzdem einigermaßen prekär lebende Pop-Hoheit referierend. Dass das ein allgemeines Problem und Prinzip vieler ewig herumkräpelnder Kunstschaffender ist, vermittelt anschaulich die Dokumentation „Prekär, frei und Spass dabei“ von Marita Neher und Christoph Bannat, die neben Christiane Rösinger z.B. auch Bernadette La Hengst (Ex-Die Braut haut ins Auge) portraitiert. Hier kann man die Doku bei Youtube anschauen.
Ich trällere, also bin ich
„Ist das noch Bohéme oder schon die Unterschicht“ fragte La Rösinger bei Britta. Selbstreflektion ist hier taugendes Distinktionsmerkmal. Man weiss natürlich schon, wie der Hase läuft, aber muss man ihm deshalb gleich hinterher hetzen, wie ein willensblöder Windhund?!
„Plattheit, Sieg und Stumpf ist Trumpf“ singt sie in „Desillusion“. Die alten Feindbilder, taugen immer noch. Aber warum ständig meckern… sollen doch die Jungunternehmertypen Ich-AGs gründen und ihr Geld in Sushi-Bars tragen. „Mir ist gar nicht so nach rumziehen. Nicht mal umziehen will ich mich zur Zeit“ resümiert Rösinger im gemütlich-betrüblichen Jackson-Browne-Cover „These Days“ ihre eigenen Zustände dieser Tage. Zuhause ist es doch auch schön. Ein wenig Häkeln oder Hadern, Blumenvasen umrücken, den Vogelflug und das Fernsehprogramm studieren und kleine Lieder erdenken.
An den heiteren Tagen zieht man zum Vorglühen durch die Spätis. Mal so, mal so und immer weiter. Trotz und mit aller Sinnlosigkeit. Die Grundfrage des „Warum?“ beantwortet Rösinger singend mit einem Reim auf das descartsche „Cogito ergo sum“.
Gewissermaßen: Ich trällere, also bin ich.
Ja, auch Lieder können Wahrheit und Erkenntnis schaffen.
Die „Liebe“, das schlimme große L****-Wort bleibt im Albumtitel „Songs Of L. And Hate“, nur eine Ahnung und Andeutung oder anderweitig – z.B. durch Leute – füllbare Leerstelle. „Hass“ hingegen ist so leicht zu haben. Bevor dieser einen zu Zermürben droht, besinnt man sich am besten doch wieder auf die gemütlichen, kuscheligen und die drolligen Seiten des Unbehagens: fröhliches Trübsalblasen und zwitscherndes Zetern über die Welt.
Zetern über die Welt
„Es Ist So Arg“ endet in diesem Sinn – wie zu Lassie-Singers-Zeiten – mit einem rohrspatzhaften Durcheinandergezetere von Rösinger und Spechtl – den allerortenen Neurosenwettstreit ins Absurde treibend.
Christiane Rösinger, aufgewachsen im badischen Hügelsheim, beschließt ihre zehn, Songs gewordenen Jammertalsbereisungen mit einem stillen Wehmutswiegenlied auf sanften Klaviersample-Drones. In „Kleines Lied zum Abschied“ singt sie: „Auf all den Kummer folgt bald Hass und Verachtung // und ein kleines Lied das bleibt.“
Gerade dieses letzte Lied hinterlässt einen wirklich berührt. Es ist ihr traurigstes Album. Mit dem rösingertypischen Rückführungstalent von Rentnerweisheiten in den Junge-Leute-Sprech („damit kann man keinen Blumentopf gewinnen.“) ist es aber auch ein auf Schönheit und subsonischer Altersmilde gebautes Album zum Aufraffen.
Und sowieso: vielleicht kommt die Altersgerechtigkeit ja doch noch. Leonard Cohen spielt seine Songs mittlerweile in der O2-World. Christiane Rösinger begnügt sich vorerst zum Beispiel mit dem Berliner Hebbel-Theater. Am 30. November wird sie dort in Bandbegleitung zu hören sein.
// Martin Hiller
Album: Christiane Rösinger – „Songs Of L. And Hate”
Label: Staatsakt
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