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Mit „Undying Color“ veröffentlicht Jaime Fennelly bereits das sechste Album unter seinem Alias Mind Over Mirrors. Sein stilprägendes Harmonium wird dieses Mal unterstützt durch eine volle Band. Zusammen mit Janet Beveridge Bean (Freakwater, Eleventh Dream Day), Jim Becker (Califone, Iron & Wine), Haley Fohr (Circuit des Yeux) und Jon Mueller (Death Blues) bringt Fennelly hier sieben Stücke in 45 Minuten auf das Album.
Hingabe zum Hypnotischen
Mit seinem luftbetriebenen Harmonium, das er mit Bandschleifen und Oszillatoren manipuliert und ergänzt, wechselt Jaime Fennelly zwischen körnigen Drones und mäanderndem Gluckern. Was in modularen Synthesizern von selbst zu passieren scheint, realisiert er mit seinem holzigen, obertonreichen Instrument. Allein technisch, durch das Spielen des Harmoniums, dem via Blasebalg per Hand diese stehenden Klänge entlockt werden, wohnt in dieser Musik die Körperlichkeit des Musizierenden. Man hört die Unmittelbarkeit und die Hingabe zum Hypnotischen.
Während Mind Over Mirrors auf vergangenen Alben noch mit weniger Begleitinstrumentarium dem tiefen Sog in leiernden Harmonium- und Synthesizer-Drones nachforschte, gehen die neuen Stücke in eine mehr dynamische, zuweilen kompositorisch strukturierte, weiterhin aber dem Fließen zugewandte Richtung. Dieses Fließen bäumt sich auf „Undying Color“ manchmal zu großem Strömen und bottichbreiten Fluten flirrender Soundsphären auf.
Gleich das erste Stück, „Restore & Slip“ setzt das Energielevel hoch an. Spröde, aus der Scheune eines schrulligen Tontüftlers zu entstammen scheinende Streicherflächen heben die Musik hoch in den kosmischen Strudel wirbelnder Klänge hinein. Ganz wie die wilden Violinen-Drones eines Henry Flynt zeigt auch Mind Over Mirrors hier Einflüße aus der appalachischen Musik.
Zeremonielle Monotonie
Das darauf folgende „Gravity Wake“ schreitet in zeremonieller Monotonie durch seine zwölf Minuten. Ein schnurgerades, auf die Snare zentriertes Schlagzeugmotiv ist hier die Basis für driftende Synthesizerschwaden, durchwirkt von langen Horn- und Posaunenklängen. Durch dieses musikalische Mantra dringen salbungsvoll die tiefen Vocals von Haley Fohr.
„Glossolaliac“ verschraubt kreiselnde Streicher mit Synthesizerarpeggios und rhythmisch dazwischenrufenden Gesangsellipsen.
So wechseln sich Beschleunigung und Rieseln auf dem Album miteinander ab. Ein cosmic crooning, eine Art kosmisches Summen also entrollt sich hier aus andächtigen Drones und gedämpften Arpeggios. Alles atmet. Alles kreiselt um einen gravitätischen Sog. Das Harmonium sorgt für einen analogen Grain, setzt die Grundlagen für die repetetive Hypnotik. In der Summe wirkt alles benebelt und auf narkotische Art belebt und gelöst. Die hinzugekommenen Vocals im Kosmos von Mind Over Mirrors beseelen diese traumwandlerische Nebelwelt auf ganz neue Weise.
Die Musik ist mal kraftvoll in sich ruhend, aus der eigenen Gravitation heraus strahlend, dann wieder taumelnd, von einem Drehimpuls so dahin treibend, durch spirales Noodling und polygonale, im Raum herumtürmende Klangcluster. In diesem, also vieleckigen Sinn geht „To the Edges“ mit seinen Klängen in jene Ecken, in denen die Musik erst so richtig in Verdichtung, Action und Wallung gerät.
Minimalismus in Wallung und Wandlung
In dem herumorgelnden Minimalismus und seinem holzigen Sound erinnert „Undying Color“ an Terry Riley. Die feierlichen Noten lassen an Popol Vuh denken. „Splintering“ kann man sich in genau diesem Popol-Vuh-Sinne wunderbar in einem Film von Werner Herzog vorstellen. Man hört ihn vor dem inneren Auge richtiggehend fabulieren, über die immortal beauty of death und die seltsam schöne brutality of nature und was er halt immer so für Sachen aus seiner inneren Ergriffenheit erzählt.
Auch denkt man bei der Musik von Mind Over Mirrors an Laurie Spiegel und ihre computer- und synthesizergestützten Auffaltungen von sprichtwörtlichen „expanding universes“. Es geht – das tut es in diesem weit gefassten Genre der Drone- und Ambientmusik oft – um große Räume und weite Reisen, um Farben und Färbungen, um Wallungen und Wandlungen.
„600 Miles Around“ rundet diese klangliche Reise als lullaby-artiges Schlusslied ab. Über jenen körnigen, schwippschwappenden Harmoniumfrequenzen tröpfelt hier ein lieblicher Gesang. Seine Zerbrechlichkeit wird von einem Chor auf hallenden Händen getragen. Dieses schillernde, kleine Mantra könnte ewig so weitergehen. Doch dann versandet das Rieseln. Die Musik hat ihre Gravitation verloren. Im Ohr bleibt die Melodie noch für eine Weile hängen.
In sieben Stücken fächert „Undying Color“ hier sein konzentriertes Minimal-Music-Destillat auf. Wie Henry Flynt und Terry Riley klingt die Musik mit ihrem Hau ins Leiern irgendwie aus der Zeit gefallen und ganz genau damit – wie die kosmischen Klangreisen der ebenfalls in Chicago wirkenden Bitchin Bajas – herrlich erfrischend.
// Martin Hiller
Album: Mind Over Mirrors – Undying Color
Label: Paradise Of Bachelors