Dieser Artikel erschien zuerst am 22. Juli 2016 im Fleischervorstadt-Blog im Vorfeld der Lesung von Schorsch Kamerun im Koeppenhaus Greifswald.
Wer erinnert sich nicht an sie, an dieses marottenbehaftete Verpuppungsstadium im Leben: die Jugend. Diese Zeit, in der man ungestüm durchs Leben stolpert, hormonell bedingt sonderbare Gerüche ausstößt und nassforsch, bestenfalls unertappt, Unsinn verzapft, für den man auf der langen Mittelstrecke des müßigen Erwachsenseins zukünftig keine Zeit mehr zu haben droht. In der Jugend lotet sich so ein Menschsein aus, indem es sich in verschiedenartige Bezüge zur Welt setzt.
Wer aufmerksam gelesen hat und mit offenen Sinnen durch die Welt wankt, wird gemerkt haben: das ist alles nichts Jugendspezifisches. Sogar diejenigen, die noch mittendrin stecken und durch ihre aktuell-akute Jugend wie durch eine Geisterbahn torkeln, in der man aus Versehen die Baulampen angelassen hat, ahnen, dass man auch nach der Adoleszenz viel Unsinn, Unfug und Unnötiges macht — dann jedoch mit mehr Auswirkungen und weniger Unrechtsbewusstsein. Weil alle heutzutage am liebsten für immer jung sein wollen, sind Erwachsene heute so eine Art schlecht geupdatete Versionen von Jugendlichen. Kindsgeister, hineingepresst in Erwachsenenkostüme wie schlecht ausgelüftete Schlafsäcke. Die Werbe- und Marketingspatzen kreischen es fortwährend von den Dächern: Der süße Vogel Jugend solle heutzutage endlos währen und wer nicht jugendlich ist, ist ein espritloser Trottel. Schlussendlich stolpern sich die Menschen durch dieses Überangebot an Identitätsmöglichkeiten; ziel- und ortlos durch die zur endlosen Zähe gedehnte Dauerjuvenilität mäandernd.
Gegenkulturgespräche in der Brathähnchenhitze
Schorsch Kamerun entlehnt den Titel seines ersten Romans Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens einem Lied, das er vor zwanzig Jahren veröffentlichte. Das passt ganz prima, denn um die Jugend geht es in dem Buch auch. Verklausuliert in einer Reihe von Protagonisten und einer Erzählung, die am „Bimmelsdorfer Strand“ beginnt, flicht Kamerun hier unschwer erkennbar seine eigene Biografie hinein. Vom Timmendorfer Strand verschlug es ihn in den Achtzigern nach Hamburg, wo er als Mitbegründer des Golden Pudel Clubs auch heute noch seine Füße in der Subkultur hat.
Am 24. Juni stellte Schorsch Kamerun seinen Debütroman im Koeppenhaus vor. Aus dem Buch las er dabei kaum, vielmehr präsentierte sich die Veranstaltung im Rahmen der Koeppentage als heitere Plauderei zwischen Prof. Eckhard Schumacher und dem Autor. Was an diesem titelgebenden Ausspruch mit der Jugend so Stichhaltiges dran ist und inwiefern diese — speziell in Kameruns eigener Vita — mit den Ideen des Punk korreliert, darüber habe ich mit Schorsch Kamerun vor seiner Lesung, in der Brathähnchenhitze im Café-Garten des Koeppenhauses, gesprochen. „Jugend“ und „Punk“ spielen in dem Buch zwei große Rollen. Schorsch lässt sich trotzdem ungern auf diese Begriffe und schon gar nicht auf eine Patenonkelschaft seinerseits verhaften. Trotzdem kreist das Buch um genau diese Themen und öffnet Türen zu den dort angedrahteten Diskursen um Jungsein, Identitätssuche und Gegenkultur: Dinge, die heutzutage weniger klar definiert zu sein scheinen, als vor 40 Jahren – als Punk noch jugendlich war.
Wer das Werk des Mannes — der bürgerlich Thomas Sehl heißt, diesen Sportlehrernamen jedoch schon sehr früh zugunsten seines punktauglicheren Alter Egos eintauschte — ein bisschen kennt, weiß um seine spartenübergreifende Streuweite. Von der Musik, die er seit Mitte der Achtziger mit den Goldenen Zitronen veröffentlicht, über Hörspiele und Theaterstücke: In allem findet man etwas wiederkehrend typisch Schorschiges, das sich in einer Sperrigkeit äußert, die ebenso die Komik, als auch die Counter Culture kennt. Sein Schaffen wird gern durch die intellektualisierende Lupe gelesen. Er wird gern als Experte für Gentrifizierung und linkspolitisches Bewusstsein vor die Kamera gespannt. Seine Arbeiten werden im Feuilleton auf ihre Wichtig- und Welthaltigkeit seziert. Irgendein Bezug zu Adorno lässt sich da immer hinschustern. Kameruns wacher Geist und sein koboldhafter Quakgesang gelten als Gradmesser für Gegenkultur. Schorsch Kamerun ist ein bescheidener Mann, der sich beharrlich diesen immer ähnlichen Fragen stellt und schlussendlich betont, dass er doch sicher nicht der Einzige sei, der sich Gedanken mache.
Martin Hiller: Gibt es im kamerunschen Schaffen grundlegende, wiederkehrende Themen?
Schorsch Kamerun: Es geht immer um irgendwelche kollektiven Fragen und bestimmte Gemeinschaften, um die es zu kämpfen gilt — auch natürlich mit dem Erkennen, wie widersprüchlich das dann letztendlich sein kann. Ich interessiere mich für solche Begriffe und habe auch immer an Szenen geglaubt, an Strukturen von Gemeinsamkeit und Leuten. Das gibt es ja in so einem Aktivismus bis heute; und vielleicht in Hamburg, wo wir uns für bestimmte Sachen, die mit Gentrifizierung zu tun haben, einsetzen. Eine Weiterführung von so einer Szenestruktur gibt es ja die ganze Zeit. Autoritätsbekämpfung ist vielleicht auch so ein Thema — wahrscheinlich ein sehr subjektives, das dann aber auch eines geworden ist, was dann politischer gemeint war. Irgendwie ist das auch meine Sensibilität; einerseits eben persönlich erlebt und dann aber auch breiter gedacht. Das geht vielleicht bis zu einer Art Anti-Nationalismus. Nationen empfinde ich auch als autoritär. Es sind schon immer solche Themen, die ja manchmal auch romantisch sind und von denen vielleicht einige dann ja manchmal auch nicht mehr stimmen. Wenn man sich mal anschaut, wofür wir so eingetreten sind, mit Themen, die vielleicht mit politischen Ideologien zu tun hatten, die sind ja auch irgendwie so ein bisschen kaputtgegangen oder gescheitert. Zum Beispiel, wenn man sich den Hang zum Proletariat anschaut, das es ja so gar nicht mehr gibt. Auch diese Solidaritäten gibt es nicht mehr. Und dann so ein Erkennen, dass man sich selbst vielleicht auch ökonomisiert als Einzelner — eben diese Widersprüchlichkeiten, das ist etwas, das wir versuchen, uns anzuschauen. Die Themen und Ideale sind irgendwie geblieben, zum Teil fast altmodisch.
MH: Und diese Ideale wurzeln dann irgendwie im Punk.
SK: Naja, Punk war ja irgendwie auch eine Show. Vielleicht aus dem, was Punk so vorgegeben hat. Auch eigene Dinge — „das kannst auch Du, mach alles selbst“ — das ist ja Punk, vielleicht. Aber Punk hat ja über Malcolm Mclaren auch schon die Gesellschaft des Spektakels gefeiert. Das war ja eigentlich schon Kapitalismus: „Cash from Chaos“ und so weiter. Das ist ja eigentlich genau das, was sich durchgesetzt hat — hochvisionär, was der Mann da gemacht hat! Die Band war gecastet, von daher stimmt das mit dem Punk auch alles nur so halb. Deswegen benutze ich den Begriff auch nicht als Möglichkeit, das ist auch langweilig.
MH: Im Buch spielt der Punk ja durchaus eine Rolle.
SK: Ja, der wird da geklärt, ne? Die Naivität, die man selber so hatte war auch das Faszinierende daran. Das ist ja auch das Tolle: Das einen das so mitreißen kann.
MH: Ist das etwas Jugendspezifisches?
SK: Naja, ein bisschen könnte das stimmen. Oder mal anders ausgedrückt: Dieser blitzartige Glaube an etwas, der so kam und so emotional war, der geht mir total ab. Den habe ich irgendwie nicht mehr. Ich lasse mich da wesentlich schwerer für Ideen begeistern. Überhaupt das Wort „Glaube“; an was eigentlich? Das ist wirklich schwieriger geworden, ich vermisse das richtig, auch die Begeisterung für irgendwas. Blöderweise! Das was mal Musik war oder auch vielleicht die Ereignisse oder Urbanität, die spannend waren, all das scheint mir entweder nicht mehr stattzufinden oder irgendwie vereventisiert oder durchleuchtet zu sein. Ich vermisse irgendwie Fremde und Überraschung.
MH: Rührt es daher, dass die Jugend nicht mehr Teil deines Lebens ist, oder weil sich beispielsweise Feindbilder verwaschen haben?
SK: Nö, das hat zu tun mit Kapitalismus (lacht). Der hat diese Dinge aufgegriffen und zu Waren gemacht.
MH: … also vereinnahmt.
SK: Ja, kann man schon auch so sagen. Das ist anscheinend ein großes Verdienst des Kapitalismus. Wenn man sich das anschaut, haben sich die Dinge ja zu Marken machen lassen. Man kann das immer sehr platt beschreiben, ob das nun ein St. Pauli-Totenkopf ist oder ein ganzes Stadtviertel. Wir hängen im Museum, als irgendwie geniale Dilettanten oder was auch immer. Das lässt sich gut verkaufen. Das wird ja auch im Buch beschrieben: Dass die Straße irgendwann mal Werbung wurde und so weiter. Ich glaube, das ist spätenstens so in den Achtzigern passiert. Vorher ist das ja auch schon beschrieben worden. Diese situationistischen Thesen haben gestimmt, wenn man sich das mal so anschaut, Guy Debord liest und so.
Möglichkeiten, Mensch zu sein
Die Jugend, in der es in Schorsch Kameruns Roman geht, ist also stark im Punk verwurzelt. Dieser Punk ist heute museal, massentauglich und Markenkerne bildend. Inwiefern beide — Jugend und Punk — heute noch miteinander vereinbar sind, oder ob es der heutigen Jugend an einem gerüttelten Maß an Punk mangelt oder – umgekehrt – ob der sogenannte Punk heute nur noch ein blutleeres Bierbauchgefühl ist, mit dem die Youtube-Jugendlichen sich nur schwerlich verwandt fühlen mögen, um all sowas kreisen die Fragen, die das Buch aufblättert.
Im Falle des Protagonisten Horsti ist es recht überschaubar: Das Gefühl des Eingeengtseins im 70er-Jahre-Mief der Kleinstadt findet sein Ventil im Punk. Die Erzählung folgt den ersten Impulsen und geht weiter in Überlegungen zur Bewahrung der eigenen Integrität und Identität, die viel mit dem Artikulieren des Dagegenseins zu tun hat: als Protest, Haltung und Kunst. Eine Kernlosung des Punk bildet hier den roten Faden: „Freiwillig nichts können. Nichts wollen. Nichts werden. Das war es, was erfolgreich nervte.“, schreibt Kamerun in seinem Buch. Dieser Claim hat heute, in Zeiten, in denen alle etwas — am besten möglichst viel und überall — können und werden wollen, ein ganz eigenes Gewicht.
Jener Nährschlamm, auf dem sich so ein Menschsein versucht aufzubauen, diese Identität also, all das verwässert und biegt sich im Laufe eines Lebens natürlich auch mal ein wenig hin und her. Geht man der Behauptung, die Jugend sei die schönste Zeit des Lebens nach, so muss auch untersucht werden, welche Möglichkeiten und Mängel man in der Nachjugendzeit feststellen kann. Offensichtliche Unterschiede sind: Man kann harten Alkohol kaufen, man darf so lange aufbleiben, wie man will und es die Pflichten zulassen, man kann den Grad der Unordnung in seinem Zimmer selbst verwalten und man muss monatlich die Miete für eben dieses Zimmer zusammenkratzen. Diese Anforderungen an ein post-adoleszentes Leben klingen überschaubar, lassen Menschen oft aber auch zu ausgedörrten Trockenobstvarianten ihrer einst so fruchtsatten Jugend werden. Eine herkömmliche Methode, sich in so ein adultes Leben hineinzumorphen geht so: Schule führt rüber in die Arbeit; ein geregeltes Arbeitsleben führt zu einem gemäßigteren Umgang mit den Dingen des Rausches; das Theaterabonnement führt zu einer kulturellen Borniertheit (wird schon stimmen, was die da im Spielhaus hier im Programm haben). In den Urlaub fährt man dann mit wetterfester Jacke, Schirmmütze und Mundgeruch vom Magengeschwür. Das Auto wird auch mal geputzt und am Wochenende geht man zu einer Live-Show eines harmlosen, flötfröhlichen Comedians. Einfach, weil man es sich leisten kann und all das dem sicherheitshalber starr gehaltenen Wertegefüge nicht zur Gefahr zu werden droht, es im Gegenteil mit erwartbaren Pointen untermauert und den blöden Ödsinn etwas lindert. Durch den Kakao gezogen schmeckt eben auch der galligste Bürgermief etwas besser.
Wogegen sein, wenn Dagegensein dazugehört?
Die etwas zeitgemäßere, als cooles Leben verkleidete Version davon sieht so aus: sie machen dieses viel zitierte Irgendwas mit Medien, arbeiten 9-to-5 in Agenturjobs, dienstleisten irgendwas Hippes im eigenen Milieu und kochen leichte Lebenshilfen in sogenannten Lifestyle-Blogs zu häppchenhaftem Light-Entertainment hoch. Ihr buntes Leben zwischen den aufgeräumten Coworking-Arbeitsplätzen und dem Herumgeradle auf dem Fixie-Bike stellen sie in den sozialen Medien zur Schau und befinden sich in einem fortwährenden Selbstbestätigungsprozess, der unter dem Banner der Selbstverwirklichung so lange gut geht, bis dann doch die sogenannte Midlife-Crisis an die Tür der kreativen WG klopft. Weit weg von der daily Routine des gemachten Nestes, dem sie damals so nassforsch und stolz entstiegen waren, ist das nicht. History repeats. Safety first. Subversiv ist das kaum noch, will es wahrscheinlich auch gar nicht sein, weil sich alles so oft ironisch um die eigene Achse dreht, dass ohnehin alles als pfiffig-formlose Koketterie und nicer Scheiß durchgewunken wird. Bis die eigene Idee für ein Leben geformt ist, testet man mit verschiedenen Lebensgefühlen herum. Diese Lebensgefühle kann man kaufen. Denken die. Machen die einfach. Zur Not deinstalliert man den Undercut wieder vom Kopf, druckt sich eine neue Parole auf den Beutel und ändert seinen Beziehungsstatus zum sogenannten Life zu „es ist kompliziert“. Schnarch.
In den Härtefällen dieser Umstülpung von Jugend zum Erwachsensein bleibt schlussendlich ein ungeschickt gestricktes Menschfragment übrig: unbeholfen durch das neongrüne Sirren unverwirklichter Träume torkelnd. Aus einer dumpfen Beleidigung darüber entwickelt sich eine manische Angst, einem könne der kleine Scheißluxus, den man sich erarbeitet hat, weggenommen werden. Das Ströperhafte des Jungseins wächst raus und eine angstbeißerhafte Eigenheimmentalität macht sich im Menschen breit.
Es ist wahrlich nicht leicht heute ein Mensch zu sein, wenn man allen anderen multimedial beim Menschsein zuschauen muss. Als Mensch soll man heutzutage am besten browserweit berühmt sein. Neunmalkluge Youtube-Laberbacken sind für die Jugend die neuen Stars zum Anfassen. Junge Leute gucken sich heutzutage gegenseitig beim Auspacken von technischen Geräten zu und schauen sich an, wie ein Durchschnittstyp in einem durchschnittlich schlecht gemachten Handyvideo durchschnittlich langweiliges Zeug in einer durchschnittlichen Länge von ca. vier Minuten dahersaftelt. Unterm Durchschnitt bleibt bei all diesem Zuschauen, wie andere leben, kaum noch Zeit, um ein eigenes Leben zu leben. Das dann irgendwie doch noch hingezimmerte Leben hinter den Jugendzimmerjalousien soll dann aber am besten so durchschnittlich glamourös sein, wie das des fürchterlich durchschnittlichen DJ-Duos auf dem letzten Holi-Festival. Die DJ-Stars von heute nennen sich „Gestört aber Geil“ und sind dabei aber keines von beidem.
Die Jugend muss heutzutage also eine ganz schön anstrengende Zeit im Leben sein. Alles kann, nichts muss, aber alles am besten gleich auf einmal. Wo liegt da noch der Punk begraben? Oder gibt genau dieses öde, mediokre und so gar nicht virile, weil von Erwachsenen erdachte, der Nachkommenschaft als mediales Flimmern hingegossene Jugendbild den Nährboden für eine weiteren Bestand der Ideen des Punk? Gibt diese viel verfluchte Leistungsgesellschaft, die gern auch mal mit einem Augenzwinkern („Feiern ist das neue Arbeiten“) in ihre eigene Bigotterie blinzelt, nicht gar ein gutes Feindbild her? Gibt es zwischen den pflicht- und zielbewussten Jugendlichen da irgendwo noch ein paar richtige Hänger, deren leistungsunlustiges Rumhängen ein Rumoren schaffen kann?
Distinktion, Dissidenz und DIY
Wie also kann man heute noch Distinktion schaffen, wo es Magazine gibt, die sich „Business Punk“ nennen und die kapitalistische Verwertungslogik zur Blaupause für individuelle Selbstvermarktung umgeschrieben wurde. Wo liegt noch Potential für Punk in den heute kampagnenartig zusammengeclusterten Lebensentwürfen? Lässt sich das kleinkarierte Optimieren der eigenen Webpräsenz für Suchmaschinen unter dem Banner des Do-It-Yourself für okay erklären oder ist das die kleine Version des schmierigen Managertypens, dem man sich so nah fühlt wie eine Kugel Eis einem Backofen? Oder ist am Ende alles gar nicht so schlimm und es passiert doch mehr Gewieftes, als man denkt unter den Schirmmützen, auf den Fixie-Bikes, und in den Youtube-Studios? Inwiefern ist die Jugend nun also doch noch nicht komplett im Arsch?
All sowas will Schorsch Kameruns Buch nicht beantworten. Sein Debütroman hat das Durschwurschteln gegen und an den Autoritäten vorbei zum Thema. Kamerun benennt ein „Urunvertrauen“ als stetigen Motor der Skepsis und des Tuns seines Protagonisten.
MH: Ist dein kreativer Motor eher so eine politische Empörung oder eher so ein persönliches Empfinden der Schiefheit der Welt, wie man es bei Schriftstellern erstmal vermuten würde. Deine Arbeiten wirken insgesamt ja doch sehr politisch motiviert.
SK: Die Themen sind ja trotzdem die selben. So ein Buch ist vielleicht in dem Fall einen Tick weit subjektiver, aber es wird ja beschrieben, wie das entsteht. Es ist, ganz pauschal ausgedrückt, so ein sich Regen gegen Autorität. Das stößt mir einfach auf. Dadurch bin ich stark sensibilisiert worden, würde ich sagen, über Enge und so.
MH: Die ja Ende der 1970er stärker war.
SK: Genau, kann man schon sagen. Es war normaler und auch verdeckter und fand noch mehr in den Wohnzimmern statt. Das hat man ja dann irgendwann auch irgendwie vor die Privatfernsehkamera gezerrt.
MH: Es läuft ja immer so ein bisschen darauf hinaus, die Kernfrage lautet ja immer: Wie kann man überhaupt noch opponieren gegen irgendwas, wenn die Feindbilder nicht mehr so klar sind. Oder ob das der Jugend heute vielleicht abgeht, dieses Eingeengtsein.
SK: Das glaube ich auf keinen Fall. Ich glaube nicht, dass plötzlich die Generation eine ist, die das nicht empfindet oder nichts tun will. Auf eine bestimmte Art scheint es schwieriger geworden zu sein. In dem Schwarz-Weißen kann man eben leichter schwarz und weiß sein — du hast ein deutlicheres Gegenüber. Dass Franz Josef Strauß Kanzler werden wollte und nicht Teflon-Angie, das ist schon ein großer Unterschied. Und klar, der Typ hat damals ja auch schon gesagt, was er von Leuten hielt, die irgendwie etwas anderes wollten und anders aussahen: Die sollen sich mal die Haare abschneiden und waschen. Das hat man ja alles nicht mehr.
MH: Das ist ja eben heute nicht mehr so. Sowas wird ja eher schon als Marke verkauft.
SK: Genau, die Mächtigen der Welt geben sich heute in so einer Lockerness. Von daher ist das auf eine Art schwieriger, eine deutlichere Identität zu entwickeln.
MH: Versuchst du das in deinen Arbeiten?
SK: (überlegt) Scheinbar. Scheinbar suche ich danach, gerade nach Identitäten. Aber ich habe vorhin auch schon angedeutet, dass auch mir das sehr schwer fällt, zumindest für mich ganz subjektiv eine zu finden, die an etwas hängt und auch irgendwo mitgehen will. Ich würde gern ein bisschen mehr abgeholt werden, ehrlich gesagt. Es fällt mir z.B. schwer, Fan zu sein von irgendwas, weil ich bei jedem auch irgendwie etwas entdecke, was mir missfällt. Ganz schön doof auch.
MH: Gibt es denn gerade zeitgenössisch irgendetwas, wo du Aufrührerisches sieht?
SK: Um Gottes willen, bitte verhafte mich nicht so auf diesen Begriff. Ich glaube, ich denke gar nicht so viel anders, wie viele viele andere, die auch Sachen schrecklich finden oder ablehnen.
MH: Aber du wirst ja oft als Sprachrohr dafür hergeholt.
SK: Naja, ich habe halt so eine Biografie, die damit zu tun hat und da vielleicht sowas weiterentwickelt. Vielleicht bin ich auch so nervös, dass ich zu früh den Mund aufmache. Das weiß ich gar nicht so genau. Aber ich glaube nicht, dass ich da so viel anders denke. Vielleicht hat es mittlerweile auch eine eigene Geschichte, an der man sich reiben kann und weitermachen muss sogar. Ich glaube übrigens, dass das in einer Biografie so ist, dass man da so draufguckt und wenn man was gefragt wird, dann spürt man gleich seinen eigenen Background und will den irgendwie bestätigen oder eben nicht.
Nichts können. Nichts wollen. Nichts werden.
Seinen eigenen Background nutzt Schorsch Kamerun für die Erzählung seines Romans. Schorsch ist jemand, der die Dinge verhandelt. Als Erklärer will er nicht unbedingt gelten. Schlussendlich bestimmen die Widersprüche das Leben und Wirken auch von Schorsch Kamerun. Er kann ebensowenig als Indikator für heutige Jugendlichkeit und ebenso wenig für eine allgemeine Definition von Punk herhalten. Was Schorsch aber kann und macht, ist das diskursive Verhandeln von Fragen und Fragemöglichkeiten. Derlei werden mit fortschreitendem Alter tendenziell nicht weniger, eher spitzfindiger. Das rebellische Moment wird pointierter und zielgerichteter, sich seiner Widersprüche gewahr. Widersprüche erzeugen Reibung. Reibung erzeugt nach irgendwelchem physikalischen Pipapo Wärme und das kann letztlich Antrieb sein. Soweit, so schlicht. Man muss den Karren eben immer in Bewegung halten, offener Sinne durch die Scheißwelt gehen, um nicht dauernd in die Haufen zu treten, die sie so bereitlegt.
In Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens wechselt Schorsch Kamerun erzählerische Anekdoten mit geradezu theoretischen Überlegungen zur Natur des Oppositionellen, des Aufrührerischen und der Auflehnung ab. Diese clusterhaft und stichhaltig aufgetürmten Grundsatzüberlegungen entwickeln manchmal Manifestcharakter. Man könnte das überraschend unchiffriert finden. Kamerun schlägt hier keine spitzfindigen Haken, sondern erzählt – durch seine Protagonisten – eine eigene, in ihrem Hang zum Anderssein sehr geradlinige Geschichte. Er umreißt die Methoden des Dagegenseins und ihre Gründe im Gefühl des Andersseins gegenüber einem als seltsam bis bedrohlich empfundenen Milieu.
Genau das steht der heute so auf verdreht und verquirlt gepimpten, nach erwähntem Haufenprinzip zu bewältigenden Welt ganz gut. Wo noch Gegenkultur in dieser ganz und gar digital vernetzten und deshalb zu einem Klumpen der Befindlichkeiten zusammengekneteten Jugendkultur stattfinden kann, in der alles aus einer Quelle — dem magic melting pot der Ideen- und Inhaltsbrocken: dem Internet — zu entspringen scheint: dieser Kernfrage widmen sich ganze Panels und Altpunkstammtische. Kamerun sitzt natürlich auch auf so einem Panel. Denn er kennt sich aus mit dem Dagegensein und sucht weiterhin Wege der Reibung. Die Mittel und Methoden sind eher zweitrangig. Wenn Kamerun, wie bei der mehrmedialen Lesung im Koeppenhaus, seine Lieder auf einem Tablet-PC aufführt und — während er monoton auf einer virtuellen Glockenspiel-App herumdengelt — kichernd betont, dass das hier schließlich immer noch Punk sei, dann hat er damit recht und ist, wenn man jene Attribute bemühen will, im positivsten Sinn gestörter und geiler als alle hobby-hedonistischen DJ-Duos zusammen. Am Ende sind es Zeugs und Strategien, die Schorsch Kamerun verwendet und probiert. Darin liegt genau jenes Jugendliche, das sein Roman im Titel trägt.
SK: Es ist ein Diskurs, in dem ich mich so empfinde. Und trotzdem bin ich auch jemand, der über Interessen gelernt hat, künstlerische Strategien anzuwenden, die mich interessieren. Und da kommt man dann eben auf Situationisten oder Inkohärente und natürlich auf so Dada-Zeugs von früher; und eben auch so Leute, die tolle Strategien entwickelt haben. Und ich wende solche Sachen im Theater an. Ich gucke, was hat John Cage gemacht und mache dann plötzlich eine Figur, die den ganzen Abend nichts macht, weil das irgendwie interessant ist, nichts zu machen, gerade in der Zeit, wo alles durchökonomisiert ist, und schon hat man ein Bild. So probiere ich mein Zeugs. Das ist die Mischung daraus und genauso verstehe ich das eigentlich.
MH: Das ist doch ein schönes Schlusswort. Vielen Dank, Schorsch.
Die Brathähnchenhitze bricht nach der Lesung zu einem sturzregnerischen Gewitter zusammen. Der süße Vogel Jugend ist längst im Bett oder ungestört bei irgendeiner ungeilen Electroparty, Schorsch ist mit dem Germanistikprofessor noch irgendwo was essen gegangen und wir genügsamen Thirtysomethings sitzen nach diesem kulturähnlichen Abend platschnass im Hof des Literaturcafés und saufen in unseren Erwachsenensandaletten noch bisschen so vor uns hin. Auch ’ne schöne Zeit. Ob das nun noch Jugend oder Punk heißt, ist eigentlich egal — eine satte Bierrechnung wird es allemal.
Interview & Text: Martin Hiller
Martin Hiller ist Betreiber eines Do-It-Yourself-Labels (Rakkoon Recordings), Musiker (Huey Walker, The Kanadagans) und schreibt in unregelmäßigen Abständen unter dem Alias Ferdinand Fantastilius für den Fleischervorstadt-Blog.