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Christiane Rösinger singt seit fast dreissig Jahren Lieder aus dem weiten, wechselbedingten Themenkomplex Lieben und Leiden. Sie ist Meisterin im varriieren des traurigen Liebesliedes. Auf ihrem neuen Album will Christiane jetzt „Lieder ohne Leiden“ singen.
Lieder ohne Leiden
Ein Stück auf dem ersten Album der Lassie Singers – gegründet Ende der 1980er von Christiane Rösinger, Almut Klotz und Funny van Dannen – nennt sich „Das Traurige Liebeslied“. Jenes 1991 erschienene Album trägt den Titel „Die Lassie Singers Helfen Dir“. Damit ist ein guter Rahmen um das bald dreissigjährige Werk von Christiane Rösinger gespannt: sie schreibt gefühlsbetonte, gemütsvertonende Lamentierlieder mit denen sie anderen Melancholiebegabten aus der bohèmen Seele zu singen vermag.
Der Zyklus dieser „Lieder ohne Leiden“ beginnt, wo das letzte Album „Songs of L. and Hate“ aufhörte. „Kleines Lied zum Anfang“ zitiert in den ersten Tönen den stehenden Nachhall, mit dem ihr letztes Album endete. Wie auch in „Kleines Lied zum Abschied“, singt Rösinger hier Zeilen von Heinrich Heine. Wie auch in ihren vergangenen Alben, ob solo oder mit den Lassie Singers und Britta, singt Christiane Rösinger von „großem Lieben, größerem Leiden“. Dieses Leiden ist Quelle ihrer Lieder. Schon in der ersten Minute bringt Christiane Rösinger einen großen Teil ihres Schaffens auf den Punkt: „Und weil ich melancho-ho-ho-lisch bin, nehm‘ ich das alles schwer / Und weil ich musika-ha-ha-lisch bin, gibt das ein paar Lieder her“. Heitere Bläser bejahen diesen Satz. Ja: Bläser. Der Sound hier ist oppulenter als auf dem Vorgänger. Und ja, dieses Schaffen wurzelt auch wieder in einem gerüttelt Maß an Geschafftsein. Im Leben ist – kein Wunder – immer noch alles nicht so leicht, aber in seiner Schwermütigkeit und der eigenen Lebens-, Liebes- und Leidenserfahrung im Grunde auch ziemlich einfach, aushaltbar und schließlich sogar singbar.
„Und weil ich melancho-ho-ho–ho-ho-lisch bin, nehm‘ ich das alles schwer / Und weil ich musika-ha-ha-ha-ha-lisch bin, gibt das ein paar Lieder her“. (Christiane Rösinger – „Kleines Lied zum Anfang“)
Weltzusammenreimungen zwischen kreativem Tun und prekärem Herumgekräpel
Rösinger reimt „Heiterkeit und Depression“ auf „Das kommt halt vor, das kennt man schon“ und dichtet sich und ihrer Hörerinnenschaft damit eine erträglichere Welt zusammen. Der Moment des Melancholischen wirkt auf Menschen, die diese edelste aller Gemütssorten nicht kennen, sie verdrängen oder einfach plump und ohne Nachfrage durch ihre empfindungsarmen Tage stolpern (wegen keine Zeit, keine Lust oder sowieso alles egal), erstmal spleenig, sperrig, ja fast „verkopft“ und schwierig. Das ist natürlich Quatsch. Christiane Rösingers Lieder sind mindestens ebenso kopf- wie herzlastig. Zwischen abwinkender Miesepetrigkeit, lustvollem Genörgel und „irgendwie süßem Wühlen in Vergeblichkeit“ (Lassie Singers, 1996) singt Christiane Rösinger immer noch über – so hieß auch mal ein Album von Britta – „Das schöne Leben“ zwischen Lieben und Leiden, zwischen Lustprinzip und lästigen Pflichten, zwischen kreativem Tun und prekärem Herumgekräpel.
„Glück ist keine Bürgerpflicht“ singt sie und geht noch einen Schritt weiter und betont: „Glück und Liebe gibt’s gar nicht“. Das Wettern gegen die blöde alte Tante Love als Konstrukt zur Mehrsamkeit, Lebensbewältigung und Leidensaufteilung unter den Teilnehmern dieser Love ist mittlerweile ja eine Art rösingersches Trademark. Bei ihr ist Liebe und was da so an Suchen, Sehnen und Strampeln dranhängt, oft auch Grund für allerlei Zwist und Unbill im Leben. Einerseits ganz persönlich, als Traurigkeit, andererseits auch als Skepsis am gesamtgesellschaftlichen, zwischenmenschlichen Irrwitz. Als Betroffenheit, die sich fragt: „What the heck, was soll der Stress / Mit dem Pursuit of Happiness“. Hieran hängen natürlich – neben all den „uneingeladenen Gefühlen“ (Lassie Singers, 1996) – dann auch Diskurse um Gentrifizierung, Heteronormativität sowie lohn- und leistungsorientierter Arbeitswelt.
In „Wo bleibt der Mensch“ vom 1996 erschienenen Album „Hotel Hotel“ sangen die Lassie Singers mal – gewohnt kühn im Versmaß – „Ich habe kein Geld und weil ich nicht fremdbestimmt arbeiten will, wird das auch so bleiben“. Heute, zwanzig Jahre später, besingt Christiane Rösinger ein „Lob der stumpfen Arbeit“. Im so benannten Song klagt sie über den „Fluch dieser Tage“ und meint damit als „kreative Plage“ den lästig fremdbestimmtem Kunst- und Selbstverwirklichungswahnsinn, der einem von den Medien, den Mitmenschen oder einfach der eigenen, inneren Manie so vorgetanzt wird.
Viel schöner, weil auf kürzerem Wege sinnstiftend, ist doch da die ehrliche Arbeit: „Müde all des Geschwätzes / Such ich was Handfestes / Statt ’ne neue Platte / Pflanz ich Blumenrabatte“ singt Christiane Rösinger.
Als Musikerin, Schriftstellerin, ehemalige Labelbetreibern, gelegentliche Pop-Autorin und als Flittchenbar-Veranstalterin weiss sie, wovon sie spricht. Sie jammert jedoch nicht, sie stellt fest und gibt Empfehlungen. Und das macht sie – die Melancholie ist eine launige Natur – natürlich auch mit Drolligkeit und texttüchtiger Schläue. „Sich selber promoten / Das gehört verboten“ singt sie und betont „verboten“ in der zweiten Silbe ebenso englisch wie „promoten“.
Rösingers Texte changieren auf eine ganz unspießige Art irgendwo zwischen Lyriklesebuch und Tischkalender – man kann sie irgendwo aufschlagen, es findet sich immer etwas Gutes, Brauchbares, Verständliches, Bestätigendes darin.
Machen wir uns nichts vor: das Leben ist schwer, doch man muss lernen es zu meistern, sang Heinz Strunk einmal. Ob man dieses Meistern im Hamsterrad von Eigenheim und Festanstellung oder in den Tretmühlen von prekärem Kunstgewurschtel und bohèmistischem Nachtleben bestreitet ist am Ende gar nicht so weit voneinander entfernt. Man hat halt immer so sein Tun. Und am Lebensnahesten ist letztlich sowieso die Erkenntnis, dass es gar keinen Meister braucht. Man ist immer irgendwie in der Lehre, manchmal sowieso auch in der Leere: „Das Leben ist kein leichtes / Und die Rettung liegt so fern“ singt Christiane ganz unironisch, aber nicht verbittert. „Menschen gehen dir auf die Nerven / Und du hast sie doch so gern“ heisst es in „Lieder ohne Leiden“ weiter.
Grübeln, Wurschteln und Zetern mit Würde
„Ich will Lieder ohne Leiden, ich kann mir doch nicht jeden Tag das Ohr abschneiden“ verdichtet es sich dann im Refrain. Der Wunsch nach Liedern ohne Leiden ist also eine Art Ideal, ein Wunsch der Welt als Wille und Vorstellung von irgendwas nicht komplett Blödem, mit dem man sich alltäglich so herumschlagen muss. Die Rösinger-Bitterkeit ist bei all dem Kummer, all dem Jammer und der Klage immer auch ein witzverwandter Existentialismus, der die eigene emotionale Überspanntheit, die etwas zu arg ausgeprägte Weltempfindlichkeit und die Tendenz zum Genervtsein von den sinnlos auf einen einprasselnden Reizen immer würdevoll zu händeln weiss.
Man grübelt und wurschtelt sich halt so durch die Welt. Wer tut das nicht. Leiden ist total leicht, das kommt ganz von selbst, wenn man nicht total dumpf hinterm Brustkorb und zwischen den Ohren ist. Gute Lieder darüber machen ist schon etwas schwieriger. Und die – aus dem kreativen Geplagtsein rührende – Königsdisziplin, Lieder ohne Leiden zu machen, ist dann die Idealform, die bei genauerer Draufsicht auch schon wieder verdächtig ist. Die Rechnung ist ganz einfach: zieht man den Liedern das Leiden heraus, bleibt nur noch fröhliches Geflöte. Und Fröhlichkeit und Flöten (das kennt man aus Karneval und musikalischer Früherziehung) sind tendentiell erstmal trügerisch, tückisch und mit Vorsicht zu genießen.
Den mit Vorsicht zu genießenden, alten Ewiggestrigen widmet Christiane Rösinger mit „Was jetzt kommt“ eine abrechnende Hymne. „Das Maß aller Dinge das wart ihr / Die anderen mit Spezialproblemen wir“, singt sie. Sie singt gegen weiße, männliche Privilegierte, die Diversity und Gendertheorie nie verstehen werden. „Nehmt es wie ein Mann und sagt goodbye“, rät sie und dreht ihnen, deren Selbstgefälligkeit auf einem komischen Konstrukt aus Lebenshärte, unbedingtem Abrackern und Angst vor Andersartigem beruht, einfach das kummerfeindliche Wort im Mund herum. Chapeau!
Die von Andreas Spechtl umgesetzten Arrangements und der satte Sound mit Cello, Klavier und Blasinstrumenten setzen ihre Texte in ein samtenes Kissen. Die Musik ist abermals radiotauglich, die rösingertypische, heitere Schwermut insgesamt wahrscheinlich mal wieder nicht.
Dabei ist es gerade die Schwermut, die uns munter durchs Leben kullernde Melancholiker innerlich insgesamt ganz gut zusammenhält. Christiane Rösinger liefert hierzu seit Jahren schon die passende Musik. Die lyrische Klammer, die mit Heinrich Heine begann, schließt sich im letzten Stück mit der Vertonung eines Briefes von Heinrich von Kleist. Schon der alte Lyriker zog Hoffnung aus dem Bild, dass das „Das gewölbte Tor“ nicht zusammenbricht, „weil alle Steine auf einmal einstürzen wollen“.
Was Kleist hier poetisch verdichtete, besingt Rösinger in ihren Liedern in lakonischen Variationen: sie trällert seit bald 30 Jahren von dem Immerirgendwiedurchwurschteln, spiegelt die zähe Beständigkeit der blöden Blödmannhaftigkeit der Welt und erzählt vom Sichauskennen in der eigenen Melancholie wie in einer lang gelittenen Krankheit. Es gibt wiederkehrende Winkelpunkte, an denen so ein Leben und das Gefühl davon immer mal wieder festhängen, sich reiben, stocken, nicht vorwärts zu kommen scheinen. Am Ende sind aber auch das wieder nur „Probleme, die andere gern hätten“ (Britta, 2001), denn: „Heiterkeit und Depression / Das kommt halt vor, das kennt man schon“.
In ihren Liedern ohne Leiden rackert Christiane Rösinger wieder mit wackerer Tapferkeit durch „Stimmungsschwankungen“ und die melancholische „Grunderkrankung“. Ganz ohne Leiden geht es dann natürlich doch nicht. Es wird hier eher einem anvisierten Ideal hinterhergesungen. Denn Singen hilft natürlich immer schon ein bisschen. Dabei wird sich auch nicht – das macht diese Musik so schön – über die Maßen abgestrampelt. Wer Christiane Rösinger kennt, weiss, dass sie nicht unbedingt eine Freundin des Strebens und Strampelns ist. Denn das wäre ja nur ein weiterer Schritt ins traurige Hamsterrad. Davon hält sich Rösinger gern fern. Darüber singt sie. Dabei hört man ihr immer wieder gern zu.
// Martin Hiller
Album: Christiane Rösinger – „Lieder ohne Leiden“
Label: Staatsakt
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