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Als Mensch, der eher den irdischen Genüssen und Giften, generell den ganzen ungesunden, plumpen, guten Spaßsachen zugewandt ist, kommt man um ein sportliches Korrektiv im Lebenswandel irgendwann nicht mehr herum. Bei mir soll es jetzt Yoga sein.
Lange aufbleiben, bei schlechtem Licht bis in die Puppen ein Buch lesen, früh aufstehen, irgendwie schauen, dass die Kohle reinkommt, unregelmäßige Nahrungsaufnahme – all das fordert irgendwann seinen Tribut. Und dann auch noch das Saufen und das Rauchen. Furchtbar.
Yoga – meine neue Körperentschmerzung
Gerade jetzt, wo man aus dem Alter herausgewachsen ist, in dem man auch mal zwei Abende hintereinander doll einen losmachen konnte, ist ein entgiftendes und konstitutionsförderndes Programm in Betracht zu ziehen.
Seien wir ehrlich: der wildwankende Lebenswandel, den wir in unseren Zwanzigern lebten, rächt sich langsam. Wo man früher noch einfach ganz genau so lange im Bett liegenblieb, bis der ganze geschundene Körper nicht mehr ganz so arg wehtat, fehlt für sowas heute einfach die Zeit. Man muss ja auch was schaffen, mit dem Restgeist in diesem Restkörper, der einem über die Jahre noch so geblieben ist. Es muss also ein wirkmächtiges Körperentschmerzungsprogramm her, das die – von Arbeit, Exzess und anderem Elend – gebeutelte, auseinanderzudriften drohende Einheit von Körper und Geist zusammenhält. Yoga scheint da gar nicht so verkehrt.
Yoga und ähnliche, langsame, nicht primär an einem sportlich messbaren Erfolg ausgerichtete Körperertüchtigungen, haben ja für manche Leute den Touch des Spinnerten, Garnichtrichtigsportlichen und vielleicht sogar Esoterischen. Das sind natürlich nur billige Klischees.
Ich selbst bin eigentlich ein gefühlsgeleiteter und tiefmelancholischer, manchmal also an den realistischen Weltgegebenheiten vorbeiagierender Mensch. Ich bin grundsätzlich offen für alles was mit Eskapismus, Unvernunft, Perspektiverweiterung, Verrauschtheit, innerer Einkehr, Transzendenz und Durchdringung von Oberflächlichkeiten wie der eigenen plumpen Körperlichkeit zu tun hat. Ich halte aber in den grundwesentlichen Dingen auch so selten gewordene Tugenden wie Vernunft und Besonnenheit für wichtige Parameter im Umgang mit der grellen Welt, die sich heute ja mehr denn je als ein einziger hysterischer Flohhaufen präsentiert.
Einswerdung von Körper und Geist
Ich bin einerseits also dem ganzen, deepen Hippiescheiss zugetan, andererseits aber eben auch hin und wieder von brettharter, echter, lähmender Schwermut umfangen. Problem, Problem. Auch wenn ich neuere Tendenzen wie die viel berufene Achtsamkeit für neunmalkluge, strategisch vermarktete Binsenweisheiten für plötzlich reflektiert gewordene, ehemals eher Unsensible halte, sehe ich in dem ganzen Yoga-Ding eine völlig einleuchtende Zusammendenkung von Körper, Geist und was da so eben an Wechselwirkungen dran hängt.
Mein schrulliger Geist ist mir über all die Jahre sehr bekannt geworden. Als Mensch, der bis zur Lähmung zum Grübeln und phasenweise bis zum Glühen zum Manischen neigt, bleibt das nicht aus. Mich innerlich selbst spüren, das passiert zwangsweise ständig. Nur der Körper, mit dem schlage ich mich eher zweitrangig herum. Mein Leib ist mir eine lästige Hülle, die ich überall mithinschleppen und einigermaßen in Schuss halten muss, damit ich nicht wie ein morscher Klappstuhl zusammenfalle. Genau hier, in der körperlichen Dimension kommt für mich Yoga ins Spiel. Mir geht es primär um die körperliche Entspannung. Das darf man den Yoga-Cracks bestimmt gar nicht so laut sagen. Das ist bestimmt von vornherein schon auf irgendeine Art beschränkt und blockierend, zu wenig ganzheitlich gedacht und im Sinne der Einswerdung von Körper und Geist zum Scheitern verurteilt. Als kopflastiger Gemütsmensch in Yogastrumpfhosen der eigenen, qualligen Körperlichkeit hinfortstrampeln wollen: no way!
So fruchtbar der kaputte Geist in dem kaputten Leib für kreative Zwecke auch sein mag, wie wäre es mal andersrum: ein gesunder Geist in einem vielleicht sich doch ganz okay anfühlenden, nicht immer so verspannten Körper?
Bisher war ich immer zu rastlos, innerlich gejagt und getrieben, tendentiell auch schlicht zu mürrisch um mich dem Yoga mal ganz hinzugeben. Außerdem wusste ich ja nicht, wie das geht und sah wenig Sinn darin, im heimischen Wohnzimmer unbeholfen irgendwelchen Tutorialvideos nachzuturnen. Also musste ich mir einen Yoga-Kurs suchen.
Entgiftungsübungen in Schlafanzughose
Erstes Problem bei diesem im weitesten Sinne sportiven Vorhaben: die passenden Klamotten. Vom Schulsportunterricht für Jahre traumatisiert, habe ich seit bald zwanzig Jahren keine Institution, die irgendwas mit absichtlicher, leibesbelebender Betätigung zu tun hat, betreten. Das muss jetzt wegen Yoga aber sein. Aufgrund jenes schulbedingten Sporttraumas besitze ich keinerlei Sportsachen. Keine Jogger. Nichts. Aus Protest nahm ich am Unterricht damals schon in Straßenkleidung teil (Ausrede: Sportzeug vergessen und aus dem müffeligen Fundsachenkorb zieh‘ ich mir schonmal gar nichts an, ätsch!).
Für meinen Einstand in der Sport-, erstmal also nur Yogawelt holte ich mir eine karierte, am Fuß gesäumte Hose aus der Schlafanzugabteilung. Das lag mir irgendwie näher als die Funktionskleidung der Marktführer. Blöderweise ist diese Hose so sehr kuschelig auf Schlafklamotte getrimmt, dass mir noch sehr warm darin werden wird.
Beweglich wie ein Klappstuhl
Mein Yoga-Studio ist an ein Sport- und Wellness-Center angekoppelt. Ich betrete als Neuling eine fremde Welt, in der alles nach einer eigenen, inneren Logik wuselt und wurschtelt. Es ist wie immer, wenn man irgendwas macht, das mit einer schon eingespielten Gruppe zu tun hat: man stößt da als Greenhorn irgendwie so rein. Ich wackle also, vorbei an der Tennis-Halle, wo die Businessmänner ihre Matches austragen, mit meiner karierten Schlafanzughose in den Yoga-Saal. Er ist, wie beim Ballett, an einer Raumseite komplett verspiegelt. Ich baue meine Yoga-Matte und irgendwelche Schaumstoffklötzchen nach dem Vorbild der Anderen auf, und warte unbeholfen bis es losgeht. Mich persönlich und ungefragt im Kreise der Yoga-Jünger vorzustellen schien mir etwas zu geckig und vorlaut. Also warte ich kleinlaut und kariert vor mich hin.
Zu Beginn sollen wir es uns im Schneidersitz gemütlich machen. Meine Ungelenkigkeit erinnert mich an all die früheren Farce-Momente beim Bodenturnen. Aber eigentlich geht es. Nachdem ich mich, wie ein dicker Vogel im Nest, gemütlich hingeschneidersetzt habe, kann ich mich auf die folgende Übung konzentrieren: das Atmen. Wir atmen erstmal eine Weile aufmerksam ein und aus. Beim Einatmen soll sich die Wirbelsäule zur Zimmerdecke strecken. Beim Ausatmen darf man wieder etwas zusammenfallen (eine meiner leichtesten Übungen). Mit den Schultern soll ich auch irgendwas machen. Ich bin jetzt schon durcheinander. Allein das Geradesitzen ist ziemlich anstrengend.
Dann gehen wir in eine Art Krabbelhaltung und drücken uns, unsere Hände und Zehenspitzen auf der Matte fest verankert, in einen Wechsel aus geradem Rücken und krummem Buckel. Katze und Kuh heissen diese Figuren, glaube ich. Ein Wechsel von Bauch runter, Rücken gerade und Po hoch. Bei mir gleicht es einer besoffenen Hummel, die Liegestütze macht. Mit einer Stiege Kohlen auf dem Rücken. Unsere Yoga-Meisterin hat ein Einsehen und versucht mit vorsichtigen Händen meinen Rücken dahin zu drücken, wo er bei dieser Yoga-Figur hingehört. Klappt nicht wirklich. Ich bin eine eher krumme Yogakuh. Dass mir hier nicht auch noch ein keuchendes „Muh“ entfährt, grenzt an ein Wunder. Irgendwie warte ich in dieser devoten Haltung auch darauf, dass man mir gleich mit einer Pferdepeitsche den Hintern versohlt. Aber halt, viel zu viele Gedanken schon wieder.
Das Denken soll sich ja beim Yoga in ein themenloses Fließen der inneren Empfindungen, in ein weiches Wandern der energetischen Wellen in allen Fasern des Seins auflösen.
Ich als Neuling bin natürlich komplett überhaupt nicht im Fluss, sondern mit dem unbeholfenen Nachmachen der angeleiteten Übungen beschäftigt. Bis auf mich scheint niemand hinzuschauen, was die Frau da vorne vormacht. Während alle schon ganz in ihrer Pose, in der nach irgendeinem Tier oder anderen Naturphänomenen benannten Verrenkung und dem schönen, warmen Körpergefühl aufgegangen sind, glotze ich, meinen Kopf zwischen meinen Beinen baumelnd, zur Yogalehrerin und versuche ihre Bewegungen mechanisch nachzuahmen. Ihren Worten kann ich bei all dem Blut im Kopf ohnehin nicht folgen. Ob das gerade Krokodil oder Krieger heisst, was ich da mache, kann ich nicht benennen. Ich sehe aus, wie ein Kind, das tölpelhaft dem Takt der Erzieherin hinterherhampelt.
Wattvogel in bunten Strümpfen
Ich bemühe mich anfangs noch, nicht laut zu lachen. Später dominiert mein Keuchen, das klingt als scheuchte man eine asthmatische Bulldogge beim Springreiten im Kreis.
Klar ist: bevor man die ganzen Moves hier nicht drauf hat, kann man keine wirkliche Entspannung finden. Ich bin einfach zu beschäftigt irgendwas richtig machen zu wollen. Das Atmen mit fließenden Bewegungswechseln zu synchronisieren. Meinen Kopf frei zu machen von allen Dingen des Alltags. Ich sehe mich (die Brille habe ich abgenommen) schemenhaft im Spiegel. Ich mache jetzt den Blitz oder sowas. Ich stehe auf einem Bein, wie ein wackliger Wattvogel. In meinen bunten Strümpfen. Und der karierten Schlafanzughose. Alles wankt. Mit einer Karriere beim Ballett wird es also auch nichts mehr. Jetzt, während ich da so im Yogablitz verharre, ist mir sehr warm in meiner wilden Hose. Ich schwitze schon aus reiner Konzentration. Mein Körper sagt mir, dass er da ist. Geil.
Beseeltes Gestrampel und Gestrecke
Mein Körper und was in dem so drin ist (Sehnen, Organe, Gift und Schlacke) hat beim Yoga gut zu tun. Die Yogafrau sagt, dass diese oder jene Dehnung die Entgiftung fördert und der lachende Hund, den wir da gerade Turnen gut für Entschlackung oder sowas ist. Alles was sie sagt, ist angenehm wenig esoterisch und gerade im richtigen Maße spirituell geistes- und körpergegenwärtig und damit förderlich für das Insichhineinhorchen; das Zuordnen der Bewegungen zu den anzusprechenden Körperregionen.
Die ganze Zeit dudelt herrlich belanglose Cheapo-Ambient-Musik. Ich liebe sie jetzt schon und hoffe sehr, dass genau diese Musik jetzt hier IMMER läuft, wenn ich meine Yoga-Styles perfektioniere. Dieses Detail ist mir sehr wichtig. Es ist gerade das einzige, das in meinem absurden Gestrampel und Gestrecke von Bestand ist. Diese Musik scheint zu sagen: es ist alles gut, wir sind hier unter uns, feel it, beweg dich weiter, kleiner Klappstuhl.
Am Ende kommt noch was ganz Tolles: die Entspannung. Zehn Minuten rumliegen und in jedes Körperteil ordentlich hineinfühlen, es ganz und gar entspannen. Die Yogameisterin sagt ganz genau welches Teil wann und wie entspannt werden soll. Mein ganzer Körper ist so vorgedehnt, dass ihre leisen, salbungsvoll gewhisperten Worte direkt an den richtigen Synapsen andocken. Meine Hände, meine Augen, meine Lippen, ja sogar meine Haare – alles entspannt sich auf gutes Zureden. Der Raum, ich und meine Schlafanzughose werden eins. Namasté.
Nackte Umkleidegespräche
Irgendwann ist genug entspannt und der ganze Yoga-Kurs richtet sich wieder auf. Etwas benommen, wie Vögel, die man gegen eine Fensterscheibe geschmissen hat, zerstreuen sich alle, rollen ihre Yogamatten zusammen und lächeln sich aus den tempeltiefen Gründen ihrer seicht gedehnten Seelen einander zu.
In der Umkleide geht es dann zurück in die brülllaute Realität der unentspannten Ungedehnten. Nackt stehe ich mit den alten Herren vom Tennis vor den Spinden. Falls ich mal müde sei oder was, werde ich – auf meine Yogamatte deutend – gefragt. Dass ich damit Yoga mache, quittieren sie mit: „Das ist doch das, wo man die Beine hinterm Ohr verschränkt und so.“ Ein kehlig-kumpelhaftes Lachen hallt im gefliesten Garderobenraum. „So weit sind wir noch nicht, ich übe noch“, entgegne ich und schüttele meine Schlafanzughose nochmal ordentlich aus.
Super, war bei mir auch so!
Ja, die Lernkurve ist anfangs steil, aber schon nach dem ersten Mal spürt man deutliche Resultate. Sogar mein Gleichgewichtssinn scheint langsam wiederzukommen!